Umweltschutz mit neuer Technik

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Was Industrie 4.0 bis dato vernachlässigt hat, soll in der 5.0-Phase nachgeholt werden. Die Rede ist von durchgehend nachhaltiger Technologie, die ökologisch wirksam ist.

Nachhaltigkeit lautete einer der zentralen Grundsätze, den sich die Vertreter von Industrie 4.0 von Beginn an auf die Fahnen geheftet haben. Der Fokus wurde offensichtlich verloren. Im Vordergrund standen in den ersten beiden Jahrzehnten des dritten Jahrtausends die Digitalisierung und KI-gesteuerte Technologien, die vor allem der Steigerung der Effizienz und Flexibilität der Produktion dienlich waren. Das Konzept von Industrie 5.0 sieht vor, dieses Versäumnis nachzuholen. Forschung und Innovation sollen künftig die Industrie dabei unterstützen, langfristig zu denken und der Menschheit einen nachhaltigen Dienst zu erweisen. Es gilt, die ursprünglichen Versprechen der Digitalisierung, von Big Data und künstlicher Intelligenz einzulösen. Die Zielsetzung ist klar definiert: Daten und Technologien müssen so eingesetzt werden, dass sie ökologisch wirksam werden.

Klimawandel real: Die Zeit wird knapp

Ökologische Nachhaltigkeit bedeutet bekanntlich, den Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, um die Erschöpfung und den Abbau natürlicher Ressourcen zu vermeiden. Die Bedürfnisse der heutigen Generationen sollen gesichert werden, ohne die Bedürfnisse künftiger Generationen zu gefährden. Definition und Botschaft sind alles andere als neu. Neu ist vielmehr die spürbar und greifbar gewordene Erkenntnis, dass die Zeit knapp wird. Für Lippenbekenntnisse und Greenwashing ist kein Raum mehr. Der menschliche Einfluss auf das Klimasystem ist ebenso belegt wie die Tatsache, dass eine globale Erwärmung um 2 °C über dem vorindustriellen Wert eine gefährliche Störung des Klimasystems mit sich bringt. Weitgehender Konsens herrscht auch darüber, dass Klimaschutz deutlich billiger als die Kosten der Bewältigung von Klimaschäden ist.

Die Protagonisten des Industrie-5.0-Konzepts setzen hier an. Damit die Industrie die planetarischen Grenzen respektieren kann, muss sie nachhaltig sein. Sie muss zirkuläre Prozesse entwickeln, die natürliche Ressourcen wiederverwenden, umfunktionieren und recyceln sowie Abfälle und Umweltauswirkungen reduzieren. Für Industrieunternehmen stellt sich dabei in wirtschaftlicher Hinsicht die Frage der eigenen Wettbewerbsfähigkeit. „Kapitalisierung, Marktdurchdringung, Umsatz, Gewinn und alle herkömmlichen Wirtschaftsindizes spiegeln weder den genauen aktuellen Stand, noch die allgemeinen Aussichten der Wettbewerbsfähigkeit einer Branche wider. Die Rentabilität kann beispielsweise auf der Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen, auf einem bereits bestehenden starken Markennamen oder auf flüchtigen Marktbedingungen beruhen“, heißt es dazu im 2021 herausgegebenen Policy Paper der Europäischen Kommission „Industry 5.0 – Towards a sustainable, human-centric and resilient European industry“. Und weiter: „Das Konzept der Industrie 5.0 fördert die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Industrien und berücksichtigt gleichzeitig (…) die ökologische Nachhaltigkeit. Technologien wie die künstliche Intelligenz und die additive Fertigung können hier eine wichtige Rolle spielen, indem sie die Ressourceneffizienz optimieren und die Abfallmenge minimieren.“

Sinnvoll im Kreis laufen

Als Blaupause für eine neue Wirtschaft, die im Einklang mit dem zwölften UN-SDG (Sustainable Development Goal) für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster steht, gilt die Kreislaufwirtschaft. Ihre offensichtlichen Atouts: Sie erzeugt rasche und dauerhafte ökologische und wirtschaftliche Vorteile und findet breite öffentliche Unterstützung. Laut EU-Kommission stellt die Circular Economy „eine positive, kohärente Innovationsherausforderung dar, durch die junge Menschen die Relevanz und die Möglichkeiten sehen, ihre Zukunft zu überdenken und neu zu gestalten“. Die Herausforderung ist groß, wie der Umstand zeigt, dass aktuell in Europa nur rund zwölf Prozent der eingesetzten Sekundärrohstoffe und Ressourcen in die Wirtschaft zurückgeführt werden.

Den Handlungsdruck betont auch eine jüngste Studie der OECD. Demnach wird sich – ohne weitere politische Maßnahmen – der Materialverbrauch in der Weltwirtschaft bis 2060 verdoppeln, mit entsprechenden Belastungen für die Umwelt. Der Übergang zu einer ressourceneffizienten und kreislauforientierten Wirtschaft würde laut OECD nicht nur die Umweltschäden, die mit der Produktion, dem Verbrauch und der Entsorgung von Produkten und Materialien verbunden sind, reduzieren. Die Kreislaufwirtschaft würde zusätzlich einen nachhaltigen Weg für Wohlstandswachstum und Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten.

Alles wiederverwendbar

Künftig heißt es also im Sinne von Industrie 5.0, mit weniger mehr zu erreichen, sprich das Verhältnis zwischen Produktoutput und Ressourceninput zu optimieren. Wie der Umgang mit Ressourcen und Energie kreislaufgerechter zu gestalten ist, wird beispielhaft im Schweizer NEST erforscht. In dem modularen Forschungs- und Innovationsgebäude zweier Forschungsinstitute der ETH Zürich werden neue Technologien, Materialien und Systeme unter realen Bedingungen getestet, weiterentwickelt und validiert. Die Unit Urban Mining & Recycling (UMAR) hat sich die These zugrunde gelegt, dass alle zur Herstellung eines Gebäudes benötigten Ressourcen vollständig wiederverwendbar, wiederverwertbar oder kompostierbar sein können. Die verwendeten Materialien werden nicht verbraucht und dann entsorgt; sie sind vielmehr für eine bestimmte Zeit aus einem technischen bzw. natürlichen Kreislauf entnommen und werden später wieder in diese Kreisläufe zurückgeführt.

Paradigmenwechsel in der Bauindustrie

Mit gutem Beispiel voran geht das UMAR-Gebäude selbst, entworfen vom deutschen Nachhaltigkeits-Architekten Werner Sobek in Zusammenarbeit mit Dirk E. Hebel und Felix Heisel, beide vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Das auf der Grundlage eines modularen Baukonzepts erstellte Haus wurde ausschließlich mit recycelbaren oder kompostierbaren Materialien errichtet, vollständig vorgefertigt und in einer Produktionsstätte getestet. Die tragende Struktur und große Teile der Fassade bestehen aus unbehandeltem Holz. Auch Aluminium und Kupfer fließen in die Fassadengestaltung ein. Beide Metallarten lassen sich sauber trennen, einschmelzen und recyceln. Im Inneren der Anlage finden sich verschiedenste seriell gefertigte Bauprodukte, deren unterschiedliche Bestandteile trenn- und sortierbar sind, um sie dann rückstandslos und abfallfrei in den ­jeweiligen Stoffkreislauf zurückzuführen. Zum Einsatz kommen hier unter anderem kultivierte Pilzplatten, innovative Recyclingziegel, wiederverwendete Dämm­stoffe, gemietete Bodenbeläge und eine multifunktionale Solarthermie­anlage.


„Wir müssen in Zukunft Gebäude für viel mehr Menschen mit viel weniger Ressourcen schaffen. UMAR will einen Beitrag zum notwendigen Paradigmenwechsel in der Bauindustrie leisten“, erläutert Werner Sobek. Das Modul fungiert als Labor und Testlauf für nachhaltige Bauprojekte und die damit verbundenen Prozesse. Ziel ist es, in Zusammenarbeit mit Partnern aus Planung, Verwaltung und Produktion den Ressourcenverbrauch und die Schlüsselfragen der Bauwirtschaft zu untersuchen und aus den gewonnenen Erkenntnissen eine Reihe von innovativen Werkzeugen und Bauverfahren zu entwickeln.

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