Baustoffe ernten statt abbauen

  • Drucken

Baustoffe aus anbaubaren, nachwachsenden Rohstoffen könnten dazu beitragen, die aktuelle Ressourcenlücke zu schließen. Eine mögliche Alternative: Myzelgewebe, die fadenförmigen Zellen eines Pilzes.

Beton, der bedeutendste Baustoff der Welt, hat ein Klimaproblem. Sechs Prozent der globalen Kohlendioxidemissionen entstehen in der Zementindustrie. Zudem werden in Anbetracht der enormen Produktionsmengen – mit den jährlich produzierten rund zwölf Kubikkilometer Beton könnte ganz Österreich mehr als 10 cm hoch „zubetoniert“ werden – die für die Herstellung benötigten Rohstoffe knapp. Sand etwa gehört bereits heute zu einer umkämpften Ressource. Anlass genug, um Hebel nach Alternativen zu suchen, die das Zeitalter des „Abbaus“ hinter sich lassen und einen Weg des „Erntens“ beschreiben. Revolutionäres verspricht ein Forschungsprojekt im Schweizer NEST, das in Partnerschaft mit dem Karlsruher Institut für Technologie KIT durchgeführt wird. Die Rede ist von sogenannten kultivierten Baumaterialien als ökologische Alternative zu Beton.

„Baustoffe aus anbaubaren, nachwachsenden Rohstoffen könnten erheblich dazu beitragen, die aktuelle Ressourcenlücke zu schließen. Wir müssen unsere Baustoffe kultivieren, denn andere Ansätze werden langfristig nicht ausreichen“, sagt Dirk Hebel, Professor für Nachhaltiges Bauen am KIT. Sein Forscherteam fokussiert auf die Verwendung von Pilzen als Baumaterial.

Genau genommen geht es um Myzele, sprich die fadenförmigen Zellen eines Pilzes, die in dessen Wurzelsystem gebildet werden. Bei der Mischung des Myzelgewebes mit einem sterilisierten Substrat aus organischen Abfallstoffen (zum Beispiel Sägespäne oder Agrarabfälle) entsteht eine dichte Substanz, die dann in verschiedene Formen gegossen werden kann. „Das gegossene Myzel verdichtet sich anschließend weiter zu seiner endgültigen Form. In einem letzten Schritt wird das entstandene Bauelement getrocknet, um den Wachstumsprozess zu stoppen“, erläutert Hebel. Die großen Vorteile dieses Baustoffs: Das Material kann vor Ort angebaut werden und macht somit sowohl den Energie- als auch den Zeitaufwand für den Transport obsolet. Als organisches Material kann es Kohlenstoff aufnehmen und als CO2-Speicher fungieren. Zudem lassen sich Bauelemente nach ihrer ursprünglichen Verwendung kompostieren – Kreislaufbauwirtschaft nahe der Perfektion.

Sektorübergreifend zirkulär

Zu den von der EU-Kommission geförderten Paradeprojekten zählt seit 2018 PaperChain. 20 Partner aus fünf EU-Ländern kooperieren, um neue Nischenmärkte für Abfälle aus der Zellstoff- und Papierindustrie auf der Grundlage der Kreislaufwirtschaft zu erschließen. PaperChain umfasst fünf Demonstrationsprojekte in drei verschiedenen Wirtschaftszweigen: Bauwesen, Chemie und Bergbau. Erste praktische Ergebnisse liegen seit 2020 in der portugiesischen Region Aveiro vor. Konkret geht es um zwei innovative technologische Methoden. Zum einen wurde bei der Errichtung eines Industriepavillons Kalkasche, die in der Papierproduktion abfällt, als Füllstoff in Fertigbeton eingesetzt. Zum anderen wurde Schlacke, die bei Verbrennungsprozessen entsteht, als Zuschlagstoff in der Deckschicht von Straßen verwendet und in Aveiro ein 250 Meter langer Straßenabschnitt mit einer Gesamtfläche von 2800 Quadratmeter damit bedeckt. Die technische und ökologische Überwachung gibt Aufschlüsse über die langfristige Haltbarkeit dieser neuen Kreislauflösung. Die Tests der Universität Aveiro und des gemeinnützigen Forschungsinstituts für Forstwirtschaft und Papier, RAIZ, verliefen bislang positiv. Ebenso vielversprechend verliefen PaperChain-Projekte in Spanien, Slowenien und Schweden. Das Potenzial als wertvolle Sekundärrohstoffe der wichtigsten nicht gefährlichen Abfallströme, die von der Papierindustrie erzeugt werden, wie Grünlaugenabfälle, Grütze, Flugasche, Kalk-, Papier- und Faserschlamm, konnte somit aufgezeigt werden.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.