Klimaschutz: Die doppelte Rolle der IT

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Einerseits sind Informations- und Kommunikationstechnologien Treiber der zunehmenden Umweltbelastung, andererseits sollen digitale Innovationen den Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft ebnen.

Alles andere als trivial ist die Rolle von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) im Rahmen von Industrie 5.0. Einerseits sollen gerade IKT-Innovationen den Weg zur nachhaltigen Revolution der Wirtschaft ebnen, andererseits zeichnen sie zugleich für massiven Ressourcenverbrauch und Umweltbelastungen verantwortlich. Ein anschauliches Beispiel: In Deutschland liegt der jährliche Energieverbrauch von IKT bei rund 60 Terawattstunden, was dem jährlichen Stromverbrauch der Schweiz entspricht. Der Anteil der weltweit durch IKT verursachten Treibhausgas-Emissionen wird aktuell auf drei Prozent geschätzt. Der französische Thinktank The Shift Project geht davon aus, dass CO2-Emissionen der Digitalwirtschaft bis 2025 circa acht Prozent des globalen CO2-Verbrauches ausmachen werden, mehr als alle Autos dieser Welt.

Klimaschädlicher als der Flugverkehr

Es sind vielschichtige Faktoren, die als Treiber der zunehmenden Umweltbelastung ausgemacht werden. Problematisch ist etwa der permanent zunehmende Konsum von digitalen Geräten mit kurzer Nutzungsdauer. Rohstoffgewinnung, Herstellung, Vertrieb, Transport und Entsorgung der technischen Endgeräte verbrauchen große Mengen an Ressourcen und Energie. Die Industrie, die immer stärker auf Datenerfassung und -vernetzung von Maschinen setzt, ist ebenso mitverantwortlich. Daten werden in Clouds und weltweit auf Servern in Rechenzentren gespeichert, die dauerhaft mit Strom betrieben werden. Experten wie beispielsweise Wissenschaftler der englischen Universität Lancaster, die den globalen CO2-Fußabdruck der IKT untersuchen, haben berechnet, dass das Internet und die Server sowie Privatcomputer bereits klimaschädlicher sind als der Flugverkehr. Die im Fachmagazin „Patterns“ veröffentlichte Conclusio der Forscher: „Mit Blick auf die Zukunft sind wir besorgt, dass sich dieses Emissionswachstum immer weiter fortsetzt. Alle in diesem Bericht geprüften Analysen stimmen darin überein, dass die IKT nicht auf dem Weg ist, Emissionen im Einklang mit den Empfehlungen der Klimawissenschaft zu reduzieren. Es sei denn, die Branche oder der Gesetzgeber ergreifen zusätzliche Maßnahmen, um dies sicherzustellen.“

Nachhaltig gerechnet

Die Bewusstseinsmachung zum Thema und der Druck der Öffentlichkeit scheinen in der Branche und bei politischen Entscheidungsträgern bereits Wirkung gezeigt zu haben. Dass man gewillt ist, die für Industrie 5.0 kennzeichnende Verbindung zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu schaffen, zeigt sich beispielhaft am Interconnection Hub und global tätigen Rechenzentrumsdienstleister Interxion. Dieser betreibt seine Zentren nicht nur mit 100 Prozent erneuerbaren Energien, sondern setzt auch mit einem innovativen Projekt ein Ausrufezeichen.

So wird Interxion in Kooperation mit Wien Energie und dem Wiener Gesundheitsverbund die Abwärme seines Rechenzentrums künftig zur Beheizung der Klinik Floridsdorf einsetzen. Ab 2023 sollen 50 bis 70 Prozent des Wärmebedarfs des Spitals abgedeckt und jährlich bis zu 4000 Tonnen CO2 eingespart werden. Wien Energie errichtet dafür eine Wärmepumpenanlage, die an der Kühlanlage des Rechenzentrums angeschlossen wird. Die Anlage entzieht dem rund 26 °C warmen Kühlwasser die Wärmeenergie und nutzt diese, um die Klinik mit bis zu 82 °C zu heizen. Das abgekühlte Kühlwasser fließt zurück zum Rechenzentrum, wo es wieder zur Kühlung eingesetzt wird. „Diese Kooperation zeigt, dass Digitalisierung und Klimaschutz gut miteinander vereinbar sind und dass sich durch den Einsatz neuer Technologien sogar vollkommen neue Möglichkeiten eröffnen, das Klima zu schonen“, sagt Martin Madlo, Managing Director von Interxion Österreich. „Mit unserem Rechenzentrum schaffen wir zum einen schnellste Verbindungen und Speicherplatz und generieren zum anderen auch Arbeitsplätze und Wertschöpfung – durch die effiziente Nutzung unserer Abwärme jetzt auch noch Mehrwert in Form von klimaneutraler Energie hier direkt vor Ort im Bezirk“, betont Madlo.

Mitte 2023 soll die hierzulande einmalige Anlage, die überschüssige Wärme aus den Serverräumen in Fernwärme für die Klinik umwandelt, in Betrieb gehen. Die Politik mischt mit. Das Projekt wird aus den Mitteln der Umweltförderung des Bundesministeriums für Klimaschutz gefördert.

IT für die energieintensive Industrie

Die Rolle der IKT bei der Eindämmung des Klimawandels ist laut dem Industrie-5.0-EU-Kommissionspaper eine doppelte: „Zum einen kann sie die Emissionen des Sektors senken und die Kosten durch Energieeffizienz sowie die Nutzung erneuerbarer Energiequellen reduzieren. Zweitens, und das ist noch wichtiger, hat sie das Potenzial, die Emissionen in der gesamten Wirtschaft zu senken.“ Das ist auch notwendig, erfordert doch die Steigerung der industriellen Produktion in der Regel mehr Energie und erhöht die Kohlenstoffemissionen. Das gilt insbesondere für energieintensive Industrien. Auf die Branchen Baustoffe, Chemie, Glas, Nichteisenmetalle, Papier und Stahl entfallen mehr als die Hälfte des Energieverbrauchs der EU-Industrie. Sie sind für etwa acht Prozent der Emissionen im EU-Raum verantwortlich.

Um die Energiewende zu bewältigen und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Industrien auf globaler Ebene aufrechtzuerhalten, werden laut EU-Kommission Energietechnologien für mehr Widerstandsfähigkeit und Kostensenkungen benötigt. Projekte, die – so wie im Fall der Kooperation von Interxion mit Wien Energie – Abwärme zu einer wertvollen Ressource machen und dabei helfen, erneuerbare Energiequellen besser zu nutzen, werden in Zukunft gefragter sein denn je.

Neue Möglichkeiten unterstützen

Innovativer IT-Software kommt dabei eine tragende Rolle zu. Die Unterstützung neuer Möglichkeiten für die Nutzung von Abwärme und Kälte auf dem Weg zur Dekarbonisierung der EU hat sich das EU-finanzierte Forschungs- und Innovationsprojekt „So What“ zur Aufgabe gemacht. Entwickelt wird seit 2019 eine integrierte Software, die Industrie und Energieversorger bei der Auswahl, der Simulation und dem Vergleich alternativer Technologien unter die Arme greift.

Das neue Tool soll Industrie und Energieversorgungsunternehmen darauf hinweisen, wo Abwärme- bzw. Kältenutzung wertvoll sein könnte, und sie bei der Kartierung des Potenzials lokal verfügbarer erneuerbarer Energiequellen unterstützen. Das Tool übernimmt zudem die Bewertung der Auswirkungen – in Bezug auf energetische, wirtschaftliche und ökologische Key-Performance-Indikatoren –, die die Nutzung von Wärme- und Kältetechnologien im Vergleich zur aktuellen Situation hat. Ebenfalls im Fokus: Die Förderung innovativer vertraglicher Vereinbarungen und Finanzierungsmodelle, um wirtschaftlich tragfähige Lösungen und weniger riskante Investitionen zu gewährleisten. „Die Algorithmen unseres einzigartigen Tools erfassen sowohl die technischen als auch die wirtschaftlichen Aspekte. Sie ermöglichen damit eine eingehende technische Bewertung ebenso wie eine Analyse der wirtschaftlichen Tragfähigkeit jeder Technologie“, bringt es Projektforscher Adriano Sciacovelli auf den Punkt.

Der „fünfte“ Mann

Dass man mit Innovationsgeist Wärme und Kälte auch aus der Kanalisation „holen“ kann, zeigt übrigens das heimische Unternehmen Wien Kanal. Für die neue Unternehmenszentrale im 23. Bezirk, die Platz für 240 Mitarbeiter bietet, wurden 185 Meter Wärmetauscher im öffentlichen Kanalnetz verbaut. Mit der dem Abwasser entzogenen Wärme und Kälte wird das gesamte Gebäude geheizt und gekühlt – ein Vorzeigebeispiel der Energieeffizienz im Industrie-5.0-Zeitalter.

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