Logistik: Wenn die Kette reißt

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Corona hat die Lieferketten gestört und die Resilienz der Weltwirtschaft auf die Probe gestellt. Industrie 5.0 soll der Logistik helfen, besser zu planen, geografisch näher zu denken und Abhängigkeiten zu reduzieren.

Im Jahr 2020 sorgte ein Krankheitserreger dafür, dass Fabriken durch Lockdowns stillstanden und die Wirtschaft in vielen Teilen der Welt phasenweise zum Erliegen kam. Doch auch, nachdem manche Staaten damit begannen, die Einschränkungen wieder zurückzunehmen, kam die Wirtschaft nur sehr langsam wieder in die Gänge. Nicht zuletzt, weil die Lieferketten durch die Pandemie gestört waren. Das lässt sich zum Beispiel am Containertransport ablesen. Vor Corona kostete die Verschiffung eines Standardcontainers von China nach Europa rund 1000 Dollar. Noch im April 2021 lag der Preis beim Zehnfachen davon. Vor nordamerikanischen und europäischen Häfen kam es zu Staus, Hunderte Schiffe warteten noch Ende des letzten Jahres darauf, entladen zu werden. Die anhaltende „Null-Covid-Strategie“ von China trug dazu bei, dass sich die Lieferketten-Probleme in die Länge zogen. Vor dem Sommer steckten rund zwölf Prozent aller auf dem Seeweg transportierten Waren fest, weil Schiffe vor allem in chinesischen Häfen nicht abgefertigt werden konnten oder große Umwege in Kauf nehmen mussten. Der Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar verschärfte die Lage, da der wichtigste ukrainische Hafen in Odessa am Schwarzen Meer nicht mehr von Containerschiffen angelaufen werden konnte.

Resilienz als Pfeiler von Industrie 5.0

Es ist kein Zufall, dass auch das Konzept rund um Industrie 5.0 stark auf die Verwerfungen durch Covid-19 Bezug nimmt. Als die EU-Kommission das Thema aufgriff und im Jänner 2021 ein Memorandum dazu veröffentlichte, war die Welt noch fest im Griff der Pandemie. Dabei geht es nicht nur darum, den Menschen wieder stärker in den Fokus von wirtschaftlichem Handeln zu rücken und die Industrie nachhaltiger zu machen – einer der drei Pfeiler von Industrie 5.0 ist Widerstandsfähigkeit oder Resilienz, wie es heute heißt. In puncto Lieferketten würde das etwa bedeuten, dass es einzelne Schwachstellen gibt und die effizientesten Fabriken so starr eingerichtet sein können, dass sie die Produktion im Falle unvorhergesehener Umstände einstellen oder erheblich reduzieren müssen, warnen die Autoren – daher müsse man umdenken. „Anstatt so schnell wie möglich zur etablierten, aber fragilen ‚alten Normalität‘ zurückzukehren, wird uns der Wiederaufbau einer wesentlich widerstandsfähigeren und zukunftssicheren europäischen Wirtschaft und Industrie die Überwindung der Covid-19-Krise ermöglichen“, heißt es in dem Papier.

Industrie denkt um

Schon vor der Pandemie hätten Unternehmen daran gearbeitet, ihre Lieferketten widerstandsfähiger zu machen. Es war damals aber noch kein wirkliches Problem, so Alexander Winter, Obmann des Fachverbands Spedition und Logistik bei der Wirtschaftskammer Österreich. „Die Pandemie hat die Umstände drastisch geändert. Unternehmen ist bewusst geworden, dass die Zuverlässigkeit von Lieferketten ausschlaggebend für den Erfolg ihrer Produkte ist“, sagt Winter, der auch beim deutschen Logistikkonzern DB Schenker von Wien aus die Regionen Österreich und Südosteuropa leitet. Die Verwerfungen hätten bewusst gemacht, dass die Produktion mit einer robusten Logistik verbunden sein muss. „Davor hat die Industrie das Thema Logistik sehr pauschal gesehen. Wir regen dazu an, die Risiken bei den Lieferketten genau abzuwägen und Prioritäten zu setzen“, so der Manager.

Bei Industrie 5.0 gehe es nun stark darum, die Technik mit der Produktion und der Logistik zu verbinden. Technologische Entwicklungen in der Industrie hätten meistens auch Auswirkungen auf die Lieferketten – und umso professioneller die Industrie diese aufbereitet, desto leichter und effizienter können Transportunternehmen und Logistiker laut Winter damit arbeiten. Dabei gehe es zum Beispiel darum, bei Transportvolumen möglichst genau vorauszuplanen. Dann könne der Einfluss gewisser Eventualitäten – wie zuletzt ein niedriger Wasserstand auf der Donau oder saisonales Verkehrsaufkommen – besser abgeschätzt werden. „Wenn die Planung von Industrieunternehmen mit Automatisierung und künstlicher Intelligenz unterstütz wird, dann tun wir uns als Logistiker auch leichter“, so der WKO-Obmann.

Kürzere Distanzen

Bis zu dem Zeitpunkt, als Corona den Warentransport ins Schwanken gebracht hat, war die sogenannte „Just-in-time-Produktion“ bei Industrieunternehmen weit verbreitet – bei dem Modell werden Materialien erst dann zugeliefert, wenn etwa Autoproduzenten oder Flugzeughersteller Bedarf haben (siehe Fact Box) – und zwar direkt in die Fertigungshalle. Dadurch sparen die Firmen bei der oft kostspieligen Lagerhaltung, haben aber weniger Spielraum, wenn es zu Transportverzögerungen kommt. Durch die Lieferketten-Verwerfungen gebe es heute auch eine Tendenz, Rohmaterialien wieder stärker aus der Nähe zu beziehen, das sogenannte Nearshoring, so Winter – die Logistik nach dem Prinzip „Just-in-time“ sei etwas aus der Mode gekommen. Nicht zuletzt, weil sie Verzögerungen bei der Produktion auch mitverursacht habe. Daher wird laut dem Manager heute wieder mehr in Back-up-Lösung investiert, zum Beispiel indem man sich nicht nur auf ein Transportmittel verlässt. „Logistik sollte als integrierter Bestandteil von Industrie gesehen werden. Es geht immer um die Qualität, um die Kosten, aber auch um die Lieferfähigkeit.“

Durch die aktuelle Teuerung sei auch das Kostenbewusstsein empfindlich gestiegen, weshalb es einen stärkeren Fokus auf die Logistik gebe, nicht zuletzt, um wettbewerbsfähig zu bleiben. „Der Kostendruck hat zur Folge, dass wir auch in der Logistik versuchen müssen, die Wege zu verkürzen und die Transportmittel noch besser auszulasten. Es wird aber, denke ich, auch dazu führen, dass sich die Warenströme weiter verändern“, sagt Winter.

Das Thema Energie mitdenken

Die aktuelle Situation mit dem Krieg in der Ukraine und stark gestiegenen Preisen für Strom und Gas würde auch erfordern, dass das Thema Energie bei Industrie 5.0 stärker mitgedacht werden müsse, sagt Eveline Steinberger, Gründerin der Technologie-Investmentfirma Blue Minds mit Sitz in Wien. Das Unternehmen wurde 2014 gegründet und investiert vor allem im Bereich Energietransformation und Mobilität, wobei man sich auf technologiegetriebene Geschäftsmodelle, nicht zuletzt in Verbindung mit künstlicher Intelligenz, fokussiert. Blue Minds ist auch in Linz, Graz und Tel Aviv vertreten.

Fluch der Abhängigkeiten

Man könne nur hoffen, dass es Europa gelingen wird, die nach wie vor hohe Abhängigkeit von russischem Gas stark zu reduzieren. „Das ist eine schmerzhafte Erfahrung für die Industrie in Europa und es ist auch noch ein weiter Weg.“ Aber auch die Entwicklung des Energiesystems hin zu mehr Erneuerbaren würde Herausforderungen bringen. Bei Technologien wie Fotovoltaik sei man noch sehr stark auf andere Regionen angewiesen, vor allem auf Asien. Gerade in Europa sei es notwendig, Konzepte zu entwerfen, um auch aus dieser Abhängigkeit herauszukommen, so die Unternehmerin. „Beim Thema Resilienz wird den Unternehmen noch viel abgerungen werden.“

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