Medizin

Diabetes: Junge wollen Behandlung auf Augenhöhe

Jugendliche wünschen sich, nicht als Opfer, sondern als Experten für ihre Krankheit gesehen zu werden. Ein Vorarlberger Forschungsprojekt ergründete, wie Wissen besser an ihre Lebenswelt herangeführt werden kann.

„Viele Jugendliche haben sich in den Kinder- und Jugendambulanzen gut aufgehoben gefühlt. Wenn sie in die Erwachsenen-Ambulanz wechseln müssen, machen sie die Erfahrung, nicht ernst genommen zu werden“, sagt Katrin Paldán vom Forschungszentrum für nutzerzentrierte Technologien der FH Vorarlberg. „Wünschenswert wären der zuverlässige Transfer der Daten und feste Ansprechpartner.“

Paldán hat gemeinsam mit Kristin Ganahl von der AKS Gesundheit GmbH Vorarlberg das Forschungsprojekt „Youngstars 1 – Partizipative Forschung mit jugendlichen Diabetes-Patient:innen“ durchgeführt. Untersucht wurde, wie Angebote zur Diabetes-Versorgung mit digitalen Mitteln besser an die Lebenswelt Jugendlicher angepasst werden und deren Zugang zu Wissen und Kompetenz gefördert werden können.

Typ-1-Diabetes bedeutet für die Betroffenen, regelmäßig ihren Blutzuckerspiegel zu kontrollieren, sich Insulin zu spritzen und ihre Ernährung an den aktuellen Werten zu orientieren. Das schränkt ihre Flexibilität oft ein. Sieben Personen von 16 bis 21 Jahren beteiligten sich an der Studie.

„Vielen ist der Sensor peinlich“

Eine davon war die Schülerin Nadine Fink, 18, aus Alberschwende. Sie berichtet, dass vielen der Sensor, den sie tragen und über den Blutzuckerwerte zur Messung an eine App geschickt werden, peinlich ist. Sie selbst habe sich daran gewöhnt: „Jetzt stört er mich nicht mehr. Man will ja, dass die Leute darüber informiert werden und der Anblick für Nichtbetroffene normal wird.“ Doch viele Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes seien Beschimpfungen und Ausgrenzungen ausgesetzt, die manchmal sogar Schulwechsel nötig machten. Fink selbst bekommt viel Unterstützung von ihrer Familie, sie habe auch Glück mit der Diabetes-Ambulanz im Krankenhaus Dornbirn. „Doch das ist bei vielen anderen nicht der Fall“, sagt sie.

Die Wiener Ärztin Christine Fröhlich weiß, dass viele Jugendliche sich wünschen, in Diabetes-Ambulanzen individueller behandelt zu werden: „Die Sprache, die sie dort erfahren, lässt sie sich als Opfer fühlen, wenn es heißt: ,Was macht dein Zucker schon wieder?‘ Sie wollen sich als Expertinnen und Experten fühlen; denn sie kennen z. B. ihre Reaktionen auf bestimmte Lebensmittel sehr gut. Wird das nicht berücksichtigt, reden sie nicht mehr in der Kinder-Ambulanz oder gehen als Erwachsene gar nicht hin, und die Ärzte erfahren zu spät, ob etwas schiefläuft“, erläutert sie. „Fehlen die regelmäßigen Kontrollen und kommt es zu starken Schwankungen des Blutzuckers, hat dies langfristige Folgen für Augen, Nerven und Nieren.“

Um die Jugendlichen einzubinden, haben sich Paldán und Ganahl digitaler Methoden bedient, die den partizipativen Forschungsansatz unterstützen. Die Jugendlichen machten Fotos von ihrer Lebenswelt und erklärten sie. Die Ergebnisse diskutierten Fokusgruppen mit verschiedenen Stakeholdern aus Medizin, Gesundheitskasse, Sozialarbeit, Mobbing-Beauftragtenbüros und Selbsthilfegruppen. Schließlich konnte ein Aktionsplan entwickelt werden.

Alle Beteiligten hoffen auf die Umsetzung. Die Vorarlberger Gesundheitslandesrätin, Martina Rüscher, hat bereits Unterstützung zugesagt. Gefördert wurde das Projekt auch durch das Open Innovation in Science Center der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft.

Lexikon

Bei Typ-1-Diabetes wird die Insulinproduktion der Bauchspeicheldrüse angegriffen. Insulinmangel entsteht. Betroffene benötigen lebenslange Insulininjektionen.

Um Blutzuckerschwankungen vorzu-beugen, muss die Ernährung auf die Insulindosis abgestimmt sein. Ideal

wäre ein Gerät mit unaufdringlicher Sensorik, das zugleich Zucker und Ketone (Stoffwechselprodukte) misst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2022)

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