Interview

Tim Fischer: "Georg Kreisler hat mir Lebenshilfe gegeben"

(c) Benno Kraehahn
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„Auch die Außenseiter bilden eine Art Familie“: Tim Fischer über Georg Kreisler und dessen Lieder, die er im Programm „Tigerfest“ interpretiert. Am Donnerstag, den 10. November, im Wiener Theater Akzent.

Der große österreichisch-jüdische Liedermacher und Schriftsteller Georg Kreisler (1922–2011) hätte im Juli 100. Geburtstag gehabt. Das feiert der deutsche Chansonnier und Schauspieler Tim Fischer, der mit Kreisler jahrelang zusammengearbeitet hat, mit einem Liederabend namens „Tigerfest“. „Die Presse“ traf ihn in Berlin und plauderte mit ihm über jüdisch-wienerischen Humor, die Verbundenheit unter Außenseitern und die Freude daran, in die Rolle einer Frau zu schlüpfen.

Was macht Georg Kreisler heute noch relevant?
98 Prozent seiner Lieder lassen sich perfekt ins Heute transportieren. Auch die politischen. Es ist beängstigend zu sehen, wie wenig sich geändert hat. Es sind andere Namen, aber die gleichen Missstände. Kreisler sind zwei Dinge in die Wiege gelegt worden: Er war Jude, und er war Wiener. Das ergibt einen Humor, der seinesgleichen sucht. Das Garstige daran, das liebe ich. Dieser Humor hat zudem große Wachheit. Er sitzt wie ein Peitschenknall. Dagegen ist die heutige Comedy eine einzige Schlaftablette.

Was hat seine Kunst Ihnen ganz persönlich gegeben?
Sein Schaffen hat in mir einen Nerv getroffen, denn er hat Menschen, die sich als gesellschaftliche Außenseiter fühlen, eine Plattform gegeben. Zum anderen hatte ich das große Glück und Vergnügen, über zehn Jahre lang mit Georg eine künstlerische Freundschaft zu haben.

Wie hat sich die manifestiert?
Zunächst hat er das Stück „Adam Schaf hat Angst“ geschrieben und es mir als Uraufführung angeboten. Im Jahr 2000 wurde es am Berliner Ensemble erstmals aufgeführt. Regie führte Werner Schroeter. Kreisler war nicht so glücklich mit der Inszenierung. Er legte Wert auf Werktreue. Also hat er es ein paar Jahre später selbst inszeniert. Mit mir als Darsteller. Es war eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit. Entgegen dem Klischee, dass er ein unheilbarer Grantler gewesen sein soll, war er ein sehr herzlicher und zugewandter Mensch.

Wie verlief die erste Begegnung?
Die war in München. Ich trat damals mit der Rosel Zech auf. Wir haben auch Lieder von Georg Kreisler interpretiert. In der Pause trafen wir ihn in der Bongo-Bar. Ich hatte Blumen mitgebracht und habe gesagt: „Ich bin's, Tim. Rosel und ich wollen alles Gute wünschen für Ihre Vorstellung.“ Er lud uns dann gleich in seine Vorstellung ein. Danach gingen wir noch aus. Ein paar Wochen später klingelte bei mir das Telefon und jemand sagte: Hier ist der Georg Kreisler, hättest du Lust, eine Uraufführung zu spielen? Ich sagte, verarschen kann ich mich selber. Und legte den Hörer auf. Dann klingelte es nochmals und es stellte sich tatsächlich heraus, dass es Kreisler war. Er hat mir sofort das Du-Wort angeboten, worauf ich erwiderte: Ich danke Ihnen vielmals.

Wie war seine eigene Aufführung damals?
Sehr fein. Georg Kreisler machte damals eine seiner zahlreichen Abschiedstourneen. Die hat er ja öfter angesetzt, weil er Probleme mit den Knien hatte. Und er wollte nicht einmal einen Anflug von Gebrechlichkeit auf die Bühne bringen. Wenn es einen Vorhang auf der Bühne gab, war alles gut. Dann setzte man ihn zum Klavier und der Lappen ging hoch. Niemand bemerkte etwas von seinen Problemen. Er war natürlich brillant. Und es waren damals viele junge Leute im Publikum. Das hat er sehr genossen.

Sie besuchten ihn dann in Basel?
Ja, ich klopfte ganz vorsichtig an die Tür. Dann öffnete sich die Tür, und die große Hornbrille kam in meinen Blick. „Schön, dass du da bist, Tim“, sagte er: „Was willst du trinken?“ „Ein Glas Wasser wäre nett“, meinte ich verschüchtert. Sein Gesicht verzog sich: „Aber Tim, wir haben doch in München so schön Scotch getrunken. Ich habe eine große Flasche Glenfiddich da.“ Die Stimmung war dann rasch sehr gelöst. Seine Frau Barbara hatte Chili con Carne gekocht. Und er begann von seiner Zeit in Hollywood zu schwärmen, etwa davon, dass er mit Lilian Harvey geschlafen hatte. Er war ein Quell der heiteren Anekdoten. Man konnte Mensch und Werk eigentlich nicht trennen. Er war in der Kunst sehr menschlich und als Mensch sehr künstlich.

Wie haben Sie das Programm zu seinen Ehren gestaltet?
Ich habe viel recherchiert, auch in der Österreichischen Nationalbibliothek. Natürlich hatte ich schon ein großes Wissen über sein Repertoire. Manche Lieder haben sich für mich schon überlebt. Das „Taubenvergiften“ etwa. Irgendwann ist so eine Platte abgekratzt. Ich habe glücklicherweise ein Publikum, das sich für speziellere Dinge interessiert und auch Neues entdecken möchte. Im Endeffekt habe ich viele Raritäten ausgegraben. Viele Liebeslieder. Das ist eine große Entdeckung. Kreisler ist nicht nur der Mann fürs Bitterböse. Die wenigsten wissen, dass er eine sehr zarte Seite hatte. Er besaß eine Fähigkeit, die nur ganz wenige haben, nämlich sich in die Seele einer Frau einzufühlen. Kurt Tucholsky hatte sie und Kreisler auch. Er konnte deren geheime Sehnsüchte subtil in Chansons überführen. Manche davon wurden früher schon von Topsy Küppers und Barbara Peters gesungen, sind aber leider in Vergessenheit geraten.

Und Sie singen diese Chansons im zweiten Teil Ihrer Show auch als Frau. Wie geht es Ihnen dabei?
Ganz wunderbar. In die Rolle einer Frau zu schlüpfen, das macht große Freude. Nicht nur dem Publikum, auch meiner famosen Band. Es war nie so, dass ich eine Frau sein wollte, aber es gibt Menschen, die haben einfach zwei Seiten. Als Kind habe ich auf die Frage, ob ich ein Junge oder ein Mädchen sei, öfters mal gesagt, ich sei ein Mädchen. Eine Zeit lang ging das gut. Später haben mir die anderen die Hosen runtergezogen und mich verprügelt. Ich glaube, dass ich beide Seiten sehr gut verkörpern kann.

Sind Kreislers Lieder mehrdimensional?
Absolut. Das ist das Einzigartige an Kreislers Liedern. Jedes davon ist ein Diamant, der je nach Lichteinfall in immer neuen Farben schillert. Das ist vielleicht die Kunst der jüdischen Autoren, mindestens einen doppelten Boden in die Lieder einzuziehen. So kann man als Interpret immer neue Facetten entdecken und Purzelbäume zwischen den Zeilen schlagen.

Warum haben Sie das Lied „Tigerfest“ als Titel Ihrer Hommage gewählt?
Das ist eines der wenigen Lieder im Programm, die ich schon sehr lang singe. Vordergründig wirkt es natürlich böse. Der Protagonist lädt ein und lockt mit Leckereien, gibt ein Fest, lässt die Tiger rein, um die Gäste aufzufressen. Emotionaler Kern dieses Chansons ist Desillusion. Man kann sich noch so viel um die Menschen bemühen, die Enttäuschung bleibt nicht aus. Die Rachegelüste kann ich gut verstehen. Kreisler hat seine Figuren immer auch entlarvt. Das halten viele Menschen für böse, aber es ist einfach nur unverstellt und abgeschminkt.

Durch diese vielen Figuren zu reisen, sich das alles anzuverwandeln, was macht das mit Ihrer Psyche?
Ich habe diesen Beruf ergriffen, weil ich geliebt werden wollte. Was dabei herausgekommen ist, ist im Grunde, dass ich beneidet werde, wenn ich gut bin und Erfolge habe. Im Prinzip geht der Schuss immer nach hinten los. Man möchte gemocht werden, letztendlich bewegt man sich aber in die Einsamkeit. Der Kreisler hat mir eine Lebenshilfe gegeben, indem er mir zu verstehen gab, dass es nicht nur mir so geht, sondern allen Menschen. Kreisler wird es genauso gegangen sein, sonst hätte er diese Dinge nicht benennen können. Da entsteht dann eine Art Verbundenheit, denn auch die Außenseiter bilden eine Art Familie.

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