Biodiversität

Erste heimische Rote Liste: Den Blühpflanzen fehlen die mageren Wiesen

Die erste Rote Liste heimischer Farn- und Blütenpflanzen seit 1999 liegt nun als Gemeinschaftsprojekt der Freilandbotaniker Österreichs vor. Sie verzeichnet 66 ausgestorbene Arten – und 235, die vom Aussterben bedroht sind. Was sind die Gründe für den starken Rückgang?

Kennen Sie Arnika, die prächtig gelb blühende Wiesenpflanze? In der Pflanzenheilkunde gilt sie als desinfizierend. „Ich habe sie als Kind auf den Wiesen meiner Großeltern im Kärntner Mittelgebirge gesammelt, auf 1000 Metern Höhe“, erzählt die Botanikerin Luise Schratt-Ehrendorfer. Die Blüten wurden in Alkohol eingelegt, die Tinktur mit einem Wattebausch aufgetragen, „wenn ich blutige Knie hatte“, erinnert sie sich. Seit 30, 40 Jahren gebe es auf den Wiesen von damals keine Arnika mehr, an vielen Wuchsorten ist die Art heute vom Aussterben bedroht, nur in alpinen Hochlagen nach wie vor ungefährdet.

Das hat Schratt-Ehrendorfer gemeinsam mit zahlreichen Beitragenden aus Österreich und den Nachbarländern erhoben: für die erste Rote Liste der Farn- und Blütenpflanzen Österreichs seit 1999. 66 Arten – zwei Prozent der heimischen Flora – sind heute ausgestorben bzw. verschollen, 235 Arten vom Aussterben bedroht. Die Rote Liste liegt als Online-Publikation (https://tinyurl.com/4ppksa9a) und als Buch vor, das Interessierte übrigens kostenlos beim Portier des Departments für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien am Rennweg 14 abholen können. Gefördert wurde das Projekt von Landwirtschaftsministerium und der EU.

Was ist für die seit über 40 Jahren als Botanikerin tätige Schratt-Ehrendorfer an der Studie bemerkenswert? „Dass ehemals sehr häufige Pflanzenarten der Magerwiesen sehr stark zurückgehen, ob Wiesen-Margerite, Wiesen-Glockenblume oder Wiesen-Salbei.“ Grund dafür sei die Intensivierung der Wiesenbewirtschaftung. Einen bunten Blumenstrauß zu pflücken ist heute vielerorts nicht mehr möglich.

Gerade an „mageren“, also nährstoffarmen Standorten wachsen nämlich viele verschiedene Pflanzen, gerade dort ist die Diversität hoch, sagt Schratt-Ehrendorfer: „Bevor der Mensch durch verschiedene Aktivitäten das Nährstoffangebot in der Umwelt stark erhöhte, lebten Pflanzen unter nährstoffarmen Bedingungen.“ Ausnahmen stellten etwa Auen dar oder Wildläger, wo Wildtiere ihren Mist fallen lassen. „Nur an diesen nährstoffreichen Standorten kamen in der ungestörten Naturlandschaft Nährstoffzeiger wie die Brennnessel vor.“ Nährstoffzeiger sind häufig hochwüchsig und überwuchern die niedrigeren Pflanzen von Magerstandorten.

Nährstoffe kommen auch mit dem Wind

Neu erschienen

Doch woher kommt der heute hohe Nährstoffgehalt? In erster Linie aus Industrieemissionen und von Düngern, die auf Wiesen und Äcker ausgebracht, aber auch über die Luft ausgebreitet werden, erklärt Schratt-Ehrendorfer. „Der Wind weht aus landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen wie dem Marchfeld Nährstoffe aus und deponiert sie in den Hainburger Bergen“, einer streng geschützten Kalkhügellandschaft mit Trockenrasen. Deshalb sind auch in Naturschutzgebieten, die gar nicht gedüngt werden dürfen, mittlerweile Fettwiesenarten auf dem Vormarsch.

Die Erderwärmung ist ein weiterer Gefährdungsfaktor. „Mit dem Trockenerwerden in den Tieflagen ist es eine interessante Geschichte“, so Schratt-Ehrendorfer. „Man würde meinen, dass dadurch weniger Nährstoffe verfügbar wären. Pflanzen können schließlich nicht von ihnen abbeißen, sondern nur Stoffe aufnehmen, die in Wasser gelöst vorliegen.“ Das zunehmende Nährstoffangebot wirke aber nach wie vor wachstumsfördernd auf Nährstoffzeiger, die die Biodiversität bedrohen.
Soll sich der Biodiversitätsschwund in Österreich zumindest verlangsamen, müsste einiges passieren, so Schratt-Ehrendorfer: „Der unzureichende Schutz der heimischen Flora liegt an der lückenhaften Gesetzgebung, aber auch an der spärlichen Umsetzung vorhandener Gesetze und an mangelndem Wissensstand über das Vorkommen von Rote-Liste-Arten an bestimmten Wuchsorten.“ Dazu jedenfalls kann der nun vorliegende Band Wesentliches beitragen.

Er ist auch Katalog aller 3462 heimischen und eingebürgerten Farn- und Blütenpflanzen. In einer umfassenden Tabelle ist unter anderem die Gefährdung aller Arten in den österreichischen Naturräumen dargestellt. Dass das derart detailliert möglich wurde, sei nicht selbstverständlich: „Es ist ein Gemeinschaftsprojekt der Expertinnen und Experten der österreichischen Flora“, sagt Schratt-Ehrendorfer, „darunter übrigens zahlreiche Amateure aus verschiedensten Berufssparten, die ausgezeichnete Freilandbotaniker sind.“L. Schratt-Ehrendorfer et al.

„Rote Liste der
Farn- und Blühpflanzen“

Schriftenreihe Stapfia
OÖ Landesmuseum
362 Seiten
Open Access

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