Interview

"Man muss vor der Moral warnen"

Stürzen solche Spinner die USA noch in einen Bürgerkrieg? Einer der rund 1000 Trump-Anhänger, die am 6. Jänner 2021 das Kapitol in Washington besetzten.
Stürzen solche Spinner die USA noch in einen Bürgerkrieg? Einer der rund 1000 Trump-Anhänger, die am 6. Jänner 2021 das Kapitol in Washington besetzten. Getty Images
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Der Soziologe André Kieserling entdramatisiert auf provokante Weise:  Er hält die Klage über eine „gespaltene Gesellschaft“ für einen Trick, den Hass im Netz für folgenloses Dampfablassen und Politikferne zuweilen für einen Segen.

Die Presse: Viele fürchten eine Spaltung der Gesellschaft, dass sich Großgruppen feindselig gegenüberstehen und nicht mehr verstehen. Sie sehen das nicht?

André Kieserling: Es gab in Europa religiöse Bürgerkriege, wie in Nordirland, Klassenkämpfe und Revolutionen. Da lohnt es sich, ein so starkes Wort wie Spaltung zu verwenden. Aber es ist ja mit bloßem Auge zu erkennen, dass wir nicht in dieser Lage sind. Natürlich ist unsere Gesellschaft voll von Konflikten: Die Opposition schimpft auf die Regierung, die Gewerkschaft bekämpft die Arbeitgeberverbände, das Ehepaar Müller lässt sich scheiden. Aber das reicht nicht für eine gespaltene Gesellschaft. Dazu müssten die Konflikte einander verstärken, man müsste auch beim Wechsel des Themas demselben Gegner gegenüberstehen. Tatsächlich ist aber der Gegner in einer Situation der Verbündete in einer anderen. Ausreichend differenzierte Konflikte neutralisieren einander – und verhindern, dass eine Gesellschaft auseinanderfällt.

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