Filmkritik

Donald Trumps Vater im Elternverein

Universal Pictures
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US-Regisseur James Gray erzählt in „Zeiten des Umbruchs“ eine Geschichte aus seiner eigenen Jugend zur Zeit des ersten Wahlsiegs von Ronald Reagan – und spannt einen Bogen zum Trumpismus.

Coming-of-Age-Filme zeigen Teenager, die an der Schwelle zum Erwachsenwerden auf Hürden stoßen. James Gray ist mit „Zeiten des Umbruchs“ ein Meisterstück dieses Genres gelungen. Indem er das romantische Ideal des (ursprünglich deutschen) Entwicklungsromans wiedererweckt (das der Reifung zum aufgeklärten Bürger), kehrt er zu den humanistischen Wurzeln der Gattung zurück, insbesondere zur Frage der Moralität in Anbetracht erster Enttäuschungen und Realitätsschocks.

Mit solchen sieht sich der elfjährige Paul konfrontiert: Der Sohn einer ukrainisch-jüdischen Familie aus Queens ist ein Träumer, der Ärger macht und Künstler werden will. Er freundet sich mit Johnny an, einem schwarzen Klassenkameraden aus ärmlichen Verhältnissen, der eine Karriere bei der Nasa anstrebt und während des Unterrichts gern den Clown spielt, wofür er vom Lehrer meist überhart bestraft wird. Zwei Außenseiter haben sich gefunden. Aber sie hecken auch Unsinn aus, schleichen sich bei einem Museumsausflug davon oder rauchen in der Schultoilette einen Joint. Paul wird ins Privatgymnasium verbannt.

Die Mitschüler skandieren: „Reagan!“

Johnny bleibt zurück. Wodurch für Paul die Fragen beginnen: Soll er seinen elternlosen Freund ignorieren, wenn dieser ihn durchs Gitter seiner neuen Schule anspricht, wo der tendenziell intolerante Nachwuchs der weißen Oberschicht studiert? Soll er etwas Kritisches sagen, wenn Mitschüler in der Aula geschlossen „Reagan!“ skandieren und auf dem Hof das N-Wort gebrauchen? Paul sucht Antworten. Und mit ihm James Gray, der in schattig-herbstlichen Bildern eine einprägsame Episode aus seinem eigenen Leben nachstellt: Die (semi-)autobiografische Erzählung spielt Ende 1980, kurz vor der Präsidentschaftswahl am 4. November.
Gray erzeugt eine melancholische Atmosphäre des bevorstehenden Untergangs, wie man sie aus fatalistischen Historienfilmen über die Belle Époque oder die Weimarer Republik kennt. Er stellt die Wahl des Republikaners Ronald Reagan als politische Urkatastrophe der jüngeren US-Geschichte dar, die in der Trump-Ära ihre späte Fortsetzung fand. Reagan ist oft im Röhrenfernseher zu sehen, Pauls Verwandte nennen ihn einen Schmock (Jiddisch für Trottel). Indes wird die Brücke zur republikanischen Gegenwart durch Gastauftritte von Fred Trump (gespielt von John Diehl) und Maryanne Trump (Jessica Chastain) geschlagen, dem unguten Vater und der unterkühlten Schwester von Donald Trump: Sie sitzen im Fördergremium von Pauls Elite-Schule und halten Lobreden auf Ehrgeiz und Egoismus.

Anthony Hopkins als Großvater

Die Idee, den heutigen Trumpismus in seinem embryonalen Zustand zu porträtieren, wird jedoch nicht überstrapaziert (Donald selbst kommt nicht vor). Der Fokus liegt auf den Begegnungen des Knaben mit subtilem Alltagsrassismus. Selbst in seiner liberalen Familie werden Vorbehalte gegen seinen Kumpel laut. Nachdem er und Johnny eine weitere Dummheit begehen, platzt nur der Traum des Afroamerikaners. Der Traum des weißen Arthouse-Regisseurs in spe bleibt aufrecht.
Der Pessimismus behält allerdings nie das letzte Wort. Der liebevolle Großvater Aaron (Anthony Hopkins), ein greiser Holocaust-Überlebender, stemmt sich gegen den reaktionären Zeitgeist. Aus seinen Berichten über die Nazis und seinem Appell, nie wegzusehen, lässt sich auch das Credo des Films ableiten, der ergreifend und klug für Zivilcourage und eine gefühlvolle wie kritische Form des Erinnerns wirbt.

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