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Software spürt mittelalterliche Schreiber auf

Handschrift aus dem Fundus in Klosterneuburg.
Handschrift aus dem Fundus in Klosterneuburg.Stiftsbibl. Klosterneuburg
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Klöster tauschten im Mittelalter rege Lesestoff aus, der dazu kopiert wurde. Mit neuen Technologien kann die Urheberschaft von Handschriften genauer erforscht werden. Das lässt sozialhistorische Schlüsse zu.

Das Stift der Augustiner Chorherren in Klosterneuburg (NÖ) unterhielt seit dem 12. Jahrhundert ein produktives Skriptorium, in dem handschriftlich Texte kopiert wurden. Die Bibel, Messtexte und Schriften der Kirchenväter Augustinus und Hieronymus oder zeitgenössischer Theologen wie Rupert von Deutz wurden abschnittsweise von verschiedenen Schreibern kopiert. Es scheint, als habe es auch eine Zusammenarbeit mit anderen Klöstern gegeben, etwa mit den Zisterziensern in Zwettl und Heiligenkreuz. Für eine genaue Zuordnung der Skriptoren setzt man nun künstliche Intelligenz (KI) ein.

Aus welcher Hand ist der Text?

„Schreiber im 12. Jahrhundert legten Wert darauf, nicht erkennbar zu sein und die individuellen Merkmale der Schrift zu unterdrücken. Das macht die Identifikation der einzelnen Hände schwierig“, erklärt der Leiter der Stiftsbibliothek, Martin Haltrich. Da im Stift Klosterneuburg die mittelalterlichen Handschriften seit Jahren digitalisiert werden, lässt sich künstliche Intelligenz nutzen, um 117 Handschriften aus der Zeit zwischen ca. 1150 und 1200 bestimmten Schreibern zuzuordnen. Die Software dazu kommt, finanziert vom Land Niederösterreich, von einem Forschungsprojekt der FH St. Pölten.

„Man kann bisher durch maschinelles Lernen einzelne Schreiberhände identifizieren. Doch wir haben Verfahren entwickelt, mit denen die automatische Analyse auch eine große Anzahl von Seiten bewältigen kann. Die Innovation ist das Integrieren der menschlichen Expertise in die kontinuierliche Verbesserung der Methode, mit der der Algorithmus die Schreiberhände unterscheiden kann“, sagt Projektleiter Markus Seidl vom Institut für Creative Media/Technologies der FH.

Die Bibliothek des Stifts beherbergt Zehntausende von Manuskriptseiten aus der fraglichen Zeit. Viktoria Reich studiert in Wien Geschichte mit Schwerpunkt Paläografie. In ihrer Masterarbeit untersucht sie, welche Schreiber an welchen Manuskripten beteiligt waren, und überprüft, inwieweit bereits vorliegende Zuordnungen nachvollziehbar sind. Der Algorithmus ordnet den Text Zeile für Zeile einzelnen Schreibern zu, sie kontrolliert das Ergebnis. „Dazu mussten wir zunächst eine gemeinsame Sprache für Paläografen und Informatiker finden“, beschreibt Reich die Zusammenarbeit. Wichtig sind neben dem Layout und dem Gesamteindruck der Schrift die Linierung und die Schreibdichte. „Man erkennt, ob der Schreiber schnell und bemüht schreibt oder ob er vielleicht ungeübt ist“, sagt sie. Weitere Kriterien sind, ob die Schrift sehr aufrecht oder seitlich gekippt ist und wie die Verbindungen zwischen den Buchstaben, die Ligaturen, verlaufen. Auch die Ober- und Unterlängen spielen für die Zuordnung eine Rolle.

Eine Schreiberhand der achtzehn Manuskripte aus der Augustinusgruppe, die Reich untersucht, ist auch in Manuskripten zu finden, die aus der Klosterbibliothek Heiligenkreuz stammen. Offen ist noch, ob der Schreiber in beiden Klöstern tätig war oder ob die Handschriften verkauft oder getauscht wurden. „Wenn wir wissen, ob der Schreiber oder das Buch unterwegs war, können wir Rückschlüsse auf Wissensbewahrung und Wissensweitergabe ziehen“, so Stiftsbibliothekar Haltrich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2022)

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