Architektur

Geförderter Wohnbau: Wenn alle mitreden dürfen

Ein Stück Allmende aus dem Jahr 1984: der Wohnbau Dreierschützengasse nahe dem Hauptbahnhof Graz.
Ein Stück Allmende aus dem Jahr 1984: der Wohnbau Dreierschützengasse nahe dem Hauptbahnhof Graz.(c) Verhovsek
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Was passiert, wenn zu viele Bauherren ohne architektonische Grundausbildung entscheiden dürfen? Und wie viel Beteiligung der Bewohner braucht es für eine gute Nachbarschaft?

In den 1960er- und 1970er-Jahren war die Lücke zwischen dem Wohntraum „Eigentumshaus am Land“ und dem staatlich gelenkten sozialen Massenwohnbau offensichtlich derart unerträglich geworden, dass sich die sonst eher konservative Steiermärkische Landesregierung auf Demonstrativbauten und Experimentierfreudigkeit der Architekten der Grazer Schule einließ und Partizipation im Geschoßwohnbau im Regierungsprogramm verankerte. Für kurze Zeit gab es im Modell Steiermark architektonische Versuche, verschiedene Formen der Mitbestimmung im Geschoßwohnbau auszuloten, doch schon bei der 1972 begonnenen Deutschlandsberger „Eschensiedlung“ von Eilfried Huth zeigten sich die Schwierigkeiten: Ein Höchstmaß an Mitbestimmung und Individualität für zig Bauherren ohne architektonische Grundausbildung in einem Projekt mündete im Ensemble zu einem ästhetischen Fragezeichen. Huth hatte gelernt: Auch der Architekt muss ein Stimmrecht haben dürfen, und der von nun an verfolgte Kompromiss lautete, dass nicht nur das Tragsystem, sondern auch die äußere Gestaltung vorgegeben wird, während bei den jeweiligen Grundrissen Anpassungen möglich sind. So blieb zwar die Mitbestimmung über den privaten Lebensraum erhalten, aber die gemeinsame Obsorge für eine geteilte Ressource – das soziale Element – war deutlich gemindert. Gerade als man im geförderten Wohnbau ein wenig Erfahrung mit diesen „Beteiligungsexperimenten“ gesammelt hatte, wurden sie politisch gestoppt.

Eines der spannendsten frühen Projekte hat sich nach nunmehr 40 Jahren eine Evaluation wie auch einen Besuch verdient: der Wohnbau Dreierschützengasse 28–40. 1981 begannen die Architekten Karla Kowalski und Michael Szyszkowitz für die Rottenmanner Siedlungsgenossenschaft die Planung für einen geförderten Wohnbau an der Ecke zur stark befahrenen Alten Poststraße. Heute ist die Gegend nordwestlich des Hauptbahnhofs längst mitten in Graz angekommen, entsprechend dicht bebaut und infrastrukturell gut erschlossen. Anfang der 1990er-Jahre jedoch war dort, wo heute Helmut-List-Halle und Science Tower stehen, die Straße zu Ende – ein großes Tor versperrte fast bis zur Jahrtausendwende den Weg ins Waagner-Biro-Werksgelände.

Vielfalt in der Einheit

Der Baukörper der 1984 fertiggestellten Siedlung umrahmt in einem nach Osten offenen U einen großen, dennoch intimen Innenhof, von dem aus alle 43 Wohneinheiten erschlossen werden. Die massive Konstruktion ist hinter derzeit nur vereinzelt sanierten Holzverkleidungen und Putz versteckt. Die zukünftigen Bewohner:innen hatten Mitsprache bei Wohnungsgröße, Lage im Gesamtkomplex und der inneren Gestaltung, der Gesamtentwurf stammt aber aus der Feder der Architekten. Um eine Art Vielfalt in der Einheit zu zeigen, eignet sich die Architektursprache von Szyskowitz-Kowalski gut: Sie ist durch Fragmentierungen, Vor- und Rücksprünge gekennzeichnet, die dennoch immer wieder überraschend harmonieren. Man kann diese skulpturale Architektursprache mögen oder nicht – hier schafft sie eine eigene heimelige Identität.

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