Popkritik

Neues Album von John Cale: Ein alter Modernist sieht blutrot

Madeline McManus
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John Cale sieht Europa untergehen, erinnert sich an David Bowie – und lässt junge Kolleginnen wie Weyes Blood seine Songs bearbeiten: „Mercy“, ein Meisterwerk.

Die anheimelnde Atmosphäre des ersten und namengebenden Songs von „Mercy“ – ausgeheckt gemeinsam mit der Elektronikmusikerin Laurel Halo – ist trügerisch. All den sedierenden Synthesizern und den schläfrigen Bassläufen zum Trotz ist da etwas Unrundes. Es obliegt dem Sänger, das unterschwellige Unbehagen zu umkreisen. Der Songtext beschreibt die Szenerie vage. Irgendwo werden Gewehre verkauft, Lichter explodieren hoch über den Köpfen. „Lives do matter, lives don't matter, wolves getting ready“, heißt es bedrohlich. Am Ende bleibt nur der Ruf nach Gnade. „Lift me up, have mercy one more time“, presst sich der bald 81-jährige Art-Rock-Veteran John Cale durch die Zähne.

Klebrige Emotionen scheut er, und doch berührte er in seiner langen Karriere stets dann besonders, wenn er sich mit kühler Stimme an Gefühle wagte. Beruhigend, dass auch in ultracool wirkenden Charakteren der Lebenssaft zuweilen in Wallung gerät. Blutrot ist konsequenterweise die dominante Farbe des Artwork seines 17. Soloalbums. Gemeinsam mit der großartigen Sängerin Natalie Mering vulgo Weyes Blood sinnt er einer mysteriösen „Story of Blood“ nach. Nach zögerlichen Klavierläufen schiebt ein Synthesizer mollig an wie einst in der Musik des britischen Popquartetts 10cc.

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