Akustik

Kultige Gitarrenklänge mathematisch begreifen

Rockmusik hat eine Menge mit Mathematik zu tun. Welche Zahlenhexerei beispielsweise hinter dem verzerrten Sound von E-Gitarren steckt, weiß kaum jemand besser als der Grazer Klangexperte Robert Höldrich.

Musik kann man genießen, man kann dazu tanzen – oder man interessiert sich dafür, sie mathematisch zu beschreiben. Robert Höldrich tut Letzteres. Er ist Vorstand des Instituts für Elektronische Musik und Akustik an der Kunst-Uni Graz und hat seinen Doktor der Technischen Wissenschaften im Fach Mathematik erworben.

Aufgewachsen ist er mit Songs von Bands wie Van Halen und U2, auch die Werke anderer Größen der Rockmusik wie der Kinks, der Rolling Stones oder Jimi Hendrix haben sich in seinen Gehörgängen festgesetzt. Was deren Hits gemeinsam haben, ist der verzerrte E-Gitarren-Sound als wesentliches künstlerisches Ausdrucksmittel. Oder, wie Höldrich dazu sagt, „das Verstärken der nicht linearen Kennlinie“. Im Rahmen einer Ringvorlesung gaben er und Institutsvorstand-Stellvertreter Franz Zotter vor wenigen Tagen Einblicke und Anregungen zur mathematischen Auseinandersetzung mit Verzerreffekten wie Overdrive, Distortion, Fuzz und Co.

„Linearität bezeichnet das Verhältnis zwischen einem akustischen Eingangs- und dem Ausgangssignal“, erklärt Höldrich. „Nichtlinearität erzeugt Frequenzen, die im Eingangssignal nicht vorhanden sind. Mathematisch gesehen, ergibt beispielsweise die Reihenentwicklung des Arcustangens (einer Winkelfunktion; Anm.)eine solche Nichtlinearität. Diese Funktion lässt sich als Reihe von Potenzen, also von Mehrfachmultiplikationen des Arguments darstellen.“ Das Charakteristische dabei sei, dass es sich um ungeradzahlige Potenzen handelt. „Auf die Musik umgelegt, bedeutet das, dass sich eine Überlagerung des Grundtons mit Mehrfachen seiner Frequenz ergibt. Dem ursprünglichen Signal werden Obertöne hinzugefügt.“

Härchen im Ohr spielen mit

Dringen die Schallwellen ans Ohr, sprechen die unterschiedlichen Teiltöne unterschiedliche Stellen der Basilarmembran in der Hörschnecke gleichzeitig an. Die Härchen an diesen Stellen bewegen sich und wandeln die Schallwellen in elektrische Impulse um, die das Gehirn als Töne interpretiert, sodass man alle Teiltöne gleichzeitig wahrnimmt.

Toneffekte wissenschaftlich zu definieren, sei keineswegs bloß Spielerei, sondern Grundlage der digitalen Signalverarbeitung, betont Höldrich eindrücklich: „Die Mathematik ist ja das Mittel zur Beschreibung der Physik. Und wenn wir in der Computermusik Klänge mithilfe entsprechender Software möglichst wirklichkeitsgetreu nachempfinden wollen, müssen wir die physikalischen Phänomene des Schalls möglichst exakt beschreiben können.“

Ein knappes Jahrhundert liegt zwischen der eher zufälligen Entdeckung der Verzerrungseffekte, als Musikerinnen und Musiker die damals gerade aufgekommenen Verstärker zu laut aufdrehten, und der heutigen elektronischen Musik, bei der derartige Soundphänomene per Mausklick am Computer erzeugt werden. In dieser Zeit kam es zur Erfindung und Weiterentwicklung der Effektpedale, mit deren Hilfe sich beispielsweise Jimi Hendrix bei seinem legendären Woodstock-Auftritt 1969 den Ruf als wohl innovativster und einflussreichster Rock-Gitarrist aller Zeiten erspielte. „Am Computer lässt sich inzwischen dank der Mathematik nahezu jeder Soundeffekt erzeugen“, sagt Höldrich. „Und doch sind die alten analogen Geräte inzwischen Kult.“

Lexikon

Verzerrungen von E-Gitarre oder Bass sind musikalische Stilmittel, ohne die kaum eine Rockband auskommt. Vorerst wurden diese Effekte mithilfe der Verstärker erzielt, die – so Anekdoten – oft absichtlich beschädigt wurden, um ganz besondere Sounds zu erzeugen.

Effektpedale wurden in den 1960ern erfunden. Sie werden vor den Verstärker geschaltet. Computer erlauben heute auch die nachträgliche Verzerrung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2023)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.