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Serie: Gefühlssache

Wie sich entscheidet, ob wir uns binden können

Die Bindungstheorie hat es auch bis in die sozialen Medien geschafft. Doch lassen sich Menschen wirklich so leicht in bindungsfähige und jene, die es nicht sind, unterteilen?

Einmal mit einem missplatzierten Like oder einem unbedachten Hashtag falsch abgebogen und schon wird TikTok zu einem großen Marktplatz der Hobbypsychologen und -therapeutinnen. Fleißig werden Diagnosen feilgeboten, von Borderline und Burnout (Selbstdiagnose) bis Narzissmus und Bindungsangst (Fremddiagnose). Die Symptomatik wird oft anhand kurzer Rollenspiele erklärt - die humorvolle Pointe bleibt selten aus - und mit passendem Soundtrack und Choreografie hinterlegt.

Hoch im Kurs der therapieverwandten Themen, steht auch die Bindungstheorie (#attachmenttheory). In diversen Videos wird erklärt, wie es ist, eine Person mit sicherem Bindungsverhalten zu daten, welche Gedanken auf einen vermeidenden Bindungstyp hinweisen und welche auf einen unsicher-ambivalenten. Vier Kategorien gibt es: den sicheren, unsicher-vermeidenden, unsicher-ambivalenten und desorganisierten Bindungstyp. Bei so klar vereinfachenden Kategorien wird man zu Recht schnell stutzig. Lassen sich Menschen so grob in Typen einteilen?

 

Ursprung der Bindungstheorie

„Natürlich ist das eine Vereinfachung und spiegelt nicht die Komplexität der Wirklichkeit wider“, sagt Entwicklungspsychologin Quynh Trinh Nguyen. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit beschäftigte sie sich intensiv mit Bindungstheorie. Sie wollte herausfinden, wie Eltern-Kind-Interaktionen die Musikalität von Kindern beeinflusst. „In erster Linie geht es darum, mithilfe der Kategorisierung die schwierigeren Fälle zu diagnostizieren“, sagt die Wissenschaftlerin.

Die Serie „Gefühlssache“ erscheint immer mittwochs und beschäftigt sich mit Themen rund um zwischenmenschliche Beziehungen, Sexualität und Selbstliebe. Alle Texte finden Sie unter diepresse.com/gefuehlssache. Bei Fragen, Anmerkungen, Themenvorschlägen und Kritik schreiben Sie uns gerne an diese E-Mail-Adresse: schaufenster@diepresse.com.

Die Theorie dazu hat ursprünglich der britische Psychiater und Psychoanalytiker John Bowlby Mitte des vergangenen Jahrhunderts ersonnen. Ihr zugrunde liegt die Annahme, dass Menschen evolutionsbedingt schon mit einem Repertoire an Verhaltensweisen geboren werden, die Nähe zu Bezugspersonen sicherstellen sollen, um die Überlebenschancen zu steigern. Die ersten sechs Monate bis hin zum ersten Lebensjahr eines Kindes sollen dabei die prägendste Zeitspanne sein, in der sich bestimmte Handlungsmuster, um diese Nähe zu erlangen, herausbilden, ausgetestet und modifiziert werden. Dabei kann ein Kind in verschiedenen Situationen und mit verschiedenen Personen unterschiedliche Handlungsmuster entwickeln. Zum Einsatz kommen diese Muster insbesondere in Momenten der Unsicherheit. Im Zuge der Kindheit und Jugend verfestigen sich diese Handlungsschemata und werden auch im Erwachsenenalter weiterhin abgerufen. Hier sei allerdings gesagt: viele Faktoren wie Situation, Umgebung oder das Gegenüber können beeinflussen, welche Handlungsmuster abgerufen werden. Trotzdem legen Langzeitstudien nahe, dass das Bindungsverhalten, das man mit seinen ersten und nächsten Bezugspersonen pflegte, oft auch im Erwachsenenalter abgerufen wird.

Das Experiment

Festgemacht wurden die verschiedenen Bindungstypen an einer Untersuchungskonstellation, in der Kinder im Alter von mindestens einem Jahr in eine „Fremde Situation“ versetzt wurden. So befinden sich die Kinder etwa mit Spielzeug, einer Beobachterin und einer nahen Bezugsperson im selben Raum. Interessant wird es, wenn die Bezugsperson das Zimmer verlässt. Wie reagiert das Kind?


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