Türkei über Terrorwarnung erzürnt

Eklat. Mehrere westliche Länder schlossen ihre Generalkonsulate in Istanbul wegen angeblich drohender Anschläge. Die Türkei erkennt darin „psychologische Kriegsführung“.

Istanbul/Ankara. Extremisten planen Anschläge auf westliche Einrichtungen in der Türkei als Rache für die kürzliche Koran-Verbrennung in Stockholm – mit dieser Warnung wandten sich mehrere (General)Konsulate europäischer Staaten und der USA in dieser Woche an ihre Bürger in der Metropole Istanbul. Von konkreten und örtlich präzisen Hinweisen auf geplante Taten war die Rede. Die Ämter schlossen vorsorglich bis zum kommenden Wochenende ihre Tore.

Konkret machten sechs europäische Länder – Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und die Schweiz – ihre Istanbuler Konsulate vorübergehend dicht. Am österreichischen Generalkonsulat wurden die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Die USA warnten ihre Bürger in Istanbul vor „möglicherweise unmittelbar bevorstehenden Vergeltungsschlägen“. Wann die Vertretungen wieder öffnen werden, war nicht bekannt.

Außergewöhnliche Warnungswelle

Ankara reagierte – aber anders als erwartet: Innenminister Süleyman Soylu warf dem Westen vor, die Warnungen absichtlich in die Welt gesetzt zu haben, um der Türkei zu schaden. Das Außenamt in Ankara bestellte aus Protest gegen die Warnungen am Donnerstag die Botschafter von neun westlichen Ländern ein – laut Medienberichten jene der besagten sechs europäischen Länder sowie der USA und zwei anderer Staaten.

Zuvor war der Botschafter Norwegens ins Außenamt zitiert worden, weil Islam-Gegner heute, Freitag, in Oslo einen Koran verbrennen wollen.

Warnungen vor Anschlägen gibt es in der Türkei häufiger, aber dass so viele Staaten zur selben Zeit und fast gleichlautend ihre Bürger in der Türkei warnen, ist außergewöhnlich. Außerdem sind die Warnungen, die sich auf Einschätzungen von nicht näher genannten Sicherheitsbehörden beziehen, bemerkenswert konkret: In der deutschen Warnung wurden die Gegend um den zentralen Taksim-Platz, die Einkaufsstraße Istiklal Caddesi sowie der Stadtteil Levent erwähnt. Auch die US-Mitteilung bezog sich auf die Gegenden um den Taksim und die Istiklal Caddesi. Ein Grund dafür dürfte die Ballung westlicher Vertretungen in diesem Stadtgebiet im europäischen Teil Istanbuls sein: Das deutsche Generalkonsulat liegt nur einen Steinwurf vom Taksim-Platz entfernt; die Konsulate von Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Großbritanniens gruppieren sich um die Istiklal Caddesi.

Das Blutbad von 2003

Die britische Vertretung und eine britische Bank waren im November 2003 von türkischen Al-Qaida-Anhängern angegriffen worden; 31 Menschen starben, darunter der damalige britische Generalkonsul. Erst vor drei Monaten kamen sechs Menschen bei einem Bombenanschlag auf der belebten Istiklal Caddesi ums Leben. Die türkische Regierung machte dafür militante Kurdengruppen verantwortlich, die den Vorwurf allerdings zurückwiesen.

Die türkische Regierung und ein Teil der Öffentlichkeit hatten erzürnt auf die Verbrennung eines Korans vor der türkischen Botschaft in Stockholm durch einen Rechtsradikalen vor rund einer Woche reagiert. Vor Schwedens Konsulat in Istanbul, das ebenfalls an der Istiklal Caddesi liegt, gab es deswegen vorige Woche kleinere Proteste. Von Hinweisen auf Terroranschläge ist aber erst seit einigen Tagen die Rede.

Türkei als Nato-Bremser

Die Verbrennungen sind auch vor dem Hintergrund des türkischen Widerstandes gegen Schweden (und sekundär Finnland) wegen des von diesen angestrebten Nato-Beitritts zu sehen. Ankara verlangt speziell von Stockholm unter anderem eine härtere Gangart gegen in Schweden lebende kurdische Aktivisten, die die türkische Regierung als „Terroristen“ sieht. Von den 30 Nato-Staaten haben 28 den Beitritten zugestimmt, es fehlen nur noch Ungarn und die Türkei.

Innenminister Soylu, der nationalistische Scharfmacher im Kabinett von Präsident Rećep Tayyip Erdoğan, hielt dem Westen vor, die Gefahr terroristischer Aktionen erfunden zu haben. Die Warnungen seien Teil einer Verschwörung des Westens gegen die Türkei, die schon mit der Gründung der türkischen Republik vor 100 Jahren begonnen habe, sagte der Minister am Donnerstag: Der Westen wolle nicht, dass die Türkei „frei und unabhängig“ werde. Kurzfristiges Ziel der „psychologischen Kriegsführung“ des Westens sei es, potenzielle Türkei-Besucher abzuschrecken, um der Türkei zu schaden.

Anti-westliches Misstrauen ist verbreitet in der Türkei. Soylus Verdacht, der Westen wolle das Land am Aufstieg hindern, wird von vielen geteilt. Er hatte bereits nach dem Istiklal-Anschlag vom November die USA beschuldigt, die Gewalttat organisiert zu haben, und im Namen der Regierung amerikanische Beileidsbekundungen zurückgewiesen.

Soylus jüngste Anschuldigungen dürften die Spannungen zwischen der Türkei und dem Westen steigern. Der Krach wegen Erdoğans Nato-Blockade wird auch nicht abflauen. In Deutschland gab es im Jänner zudem Streit um einen Abgeordneten der türkischen Regierungspartei AKP, der in einer Rede vor türkisch-deutschem Publikum die „Vernichtung“ türkischer Dissidenten in der Bundesrepublik angekündigt hatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2023)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.