Glaubensfrage

Der Faschings-Countdown läuft. Oder ist es jener der Fastenzeit?

Egal, was danach kommt, liegt sehr im Trend: Verzicht. Ist es das, was die Fastenzeit meint? Und: Was kommt nach dem Drücken der Reset-Taste?

Warum nur gibt es in der Kirche, gibt es in Gottesdienststätten zumindest europäischer Ausprägung so wenig zu lachen? Platon hätte seine Freude daran, das wahrscheinlich. Ernste, nicht selten grimmige Gesichter dominieren bei dem, was Glaubensvollzug genannt wird. Der in wenigen Tagen zu Ende gehende Fasching hat sich auch nicht im liturgischen Kalender etabliert.

Am Mittwoch beginnt dann also die Fastenzeit. Mit den Angeboten eines „Aschenkreuzes to go“ in mehreren Städten, Kunstinstallationen und Fastentüchern in zentralen Kirchen werden die 40 Tage der Fastenzeit (die Sonntage werden da nonchalant einfach weggerechnet) eingeläutet, die eigentlich 46 Tage (all inclusive bis Ostern) sind oder auch wieder nur 44 (Karfreitag, Karsamstag werden bei dieser Lesart als eigene Fasttage subtrahiert). Aber das führt zu weit in unwegsames Terrain. Leichter fassbar ist da das voll im klimabewegten Trend liegende Autofasten, das seit Jahren, noch vor den aktuellen Debatten von der katholischen und evangelischen Kirche propagiert wird. Sogar ein Klimaticket gibt es mittlerweile zu gewinnen.

Und bei der profanen Praxis des Dry January, der in Großbritannien vor ungefähr einem Jahrzehnt „erfunden“ wurde, machen auch in Österreich immer mehr Menschen mit. Sie versuchen, während des ersten Monats im Jahr auf Alkohol gänzlich zu verzichten. Man könnte sagen: Was sind 31 Tage Jänner-Abstinenz gegen 40 oder 44 oder 46 Tage Fastenzeit? Aber offenbar gibt es ein Bedürfnis danach, sich zu kasteien, zu verzichten, den einen oder anderen Schalter dann und wann auch umzulegen, wenn auch nur befristet.

Kasteien? Verzichten? Eine Expertin, Zisterzienser-Altäbtissin Ancilla Betting, hält dagegen, wie einer Ordensaussendung zu entnehmen ist: „Ich freue mich jedes Jahr auf die Fastenzeit. Es ist für mich keine Zeit des Verzichts. Es geht nicht um ,Ich darf nicht‘, sondern um ,Ich will‘. Eine bewusste Entscheidung für etwas, statt gegen etwas.“
Auch eine Möglichkeit, sich das Fasten schönzureden, mag der Zyniker in uns denken. Aber könnte diese scheinbar abwegige Aussage nicht zum Kern des ganzen Treibens bzw. Nichttuns führen? Kann Verzicht auf das eine nicht tatsächlich bedeuten, dass Raum frei wird für etwas anderes? Fasten, Verzicht oder in der Sprache der Digital Natives: Reset-Taste drücken und bereit sein für ein Update. Dieses Phänomen ist in so gut wie allen Religionen über alle Kulturen hinweg zu finden und stillt offenbar eine Sehnsucht des Menschen.

Man muss das nicht verstehen oder gar wertschätzen. Lachen muss man darüber allerdings auch wieder nicht. Höchstens im Fasching.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

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