Partizipation

Citizen Science: Ideal ist Miteinander ohne Autorität

Wer profitiert, wenn engagierte Laiinnen und Laien in die Forschung eingebunden werden? Das Zentrum für Soziale Innovation sucht am Beispiel konkreter Forschungsprojekte nach Antworten.

„Die Einbeziehung von Citizen Science wird häufig von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern angestoßen, die Daten sammeln lassen wollen“, erklärt Barbara Kieslinger. Sie entwickelt am Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) in Wien Kriterien für die Arbeit von Laienwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern in Forschungsprojekten. Das heißt, die Forschungsoptionen verbessern sich, wenn Menschen etwa Vögel oder auch tote Tiere auf Landstraßen zählen, den Grad der Luftverschmutzung messen oder sich Patientinnen und Patienten und deren Angehörige an der Evaluierung von medizinischen Methoden beteiligen.

Doch auch die interessierten Laiinnen und Laien selbst haben Vorteile, wenn sie an Forschungsprojekten partizipieren: „Im Idealfall werden Projekte von allen Beteiligten gemeinsam aufgesetzt und Fragestellungen gemeinsam definiert. Es gibt nicht die eine Autorität, die festlegt, woran gearbeitet wird“, betont Kieslinger. So könne man nicht nur mehr über das Forschungsthema erfahren, sondern ebenso die eingesetzten Methoden kennenlernen und selbst anwenden.

Wissenschaftsskepsis abbauen

„Das hat vor allem den gesamtgesellschaftlichen Nutzen, dass die Wissenschaftsskepsis verringert wird, die in der Coronazeit so offensichtlich wurde“, sagt Kieslinger. Ferner werden die Erkenntnisse auch in zivilgesellschaftlichen Initiativen und Prozessen genutzt, in denen sich die Laienforscherinnen und -forscher engagieren.

Im Ende 2022 abgeschlossenen Projekt „Reinforce“ (Research Infrastructures for Citizens in Europe) hat Elisabeth Unterfrauner für das ZSI gemeinsam mit Teams großer Einrichtungen wie dem Kernforschungszentrum Cern und dem Gravitationswellen-Detektor Virgo erforscht, welche Vorteile Bürgerinnen und Bürger von ihrer Beteiligung an naturwissenschaftlichen oder technischen Forschungsprojekten haben und auf welche Weise sie sich befriedigend beteiligen können.

Die Bestandsaufnahme zeigte, dass sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterschiedlichen Bildungsgrades, unterschiedlichen Alters und Geschlechts in Forschungsprojekten engagieren. Sowohl Wissen im jeweiligen Gebiet als auch wissenschaftsbezogene Fähigkeiten wuchsen im Laufe ihrer Beteiligung. Im Rahmen des Projektes wurden neben Online-Trainings auch Workshops in Präsenz angeboten, unter anderem mit Fokus auf bestimmte Zielgruppen, etwa Pensionistinnen und Pensionisten.

Neben „Reinforce“ ist das ZSI auch am Projekt „CoAct“ beteiligt, das sich mit sozialwissenschaftlichen Fragen unter Einbindung Betroffener beschäftigt. Auf europäischer Ebene hat sich die European Citizen Science Association auf Charakteristika und Prinzipien für die Beteiligung von interessierten Bürgerinnen und Bürgern an wissenschaftlicher Forschung geeinigt. Darin wird darauf hingewiesen, dass für etliche Bereiche der Natur- und Ingenieurwissenschaften noch methodische Standards für die Einbeziehung von Laienforschenden entstehen müssen.

Engagement differiert stark

In den Sozialwissenschaften kann man schon auf jahrzehntelange Erfahrungen aus der partizipativen Forschung zurückgreifen. Das Ausmaß des bürgerlichen Forschungsengagements kann sehr unterschiedlich ausfallen. „Deshalb ist ein sehr wichtiger Aspekt, dass zu Beginn des Projektes die Erwartungen abgeklärt und insgesamt vonseiten der Projektleitung transparent kommuniziert werden“, erklärt Kieslinger. „Geschieht das, können Ergebnisse mit wissenschaftsbasierter Evidenz und gleichzeitig ein Abbau der Wissenschaftsskepsis und die Förderung der Selbstermächtigung bei den Bürgerinnen und Bürgern erreicht werden“, ist Kieslinger optimistisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2023)

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