Unterwegs

Exzess im Obstgarten

In der idyllischen Kleinstadt, die bald wieder von einer „Drogenparty“ heimgesucht wird.

Was das Berliner Umland für viele Österreicher ungewöhnlich macht, ist das Plattgedrückte. Berlin liegt in einer Landschaft, die vor Jahrtausenden von Eisplatten flach geschunden wurde. Wer rund eine Stunde mit dem Zug in diese Weite westlich der Berliner Stadtgrenze fährt, kommt nach Werder an der Havel.

Kennen Sie nicht? Werder an der Havel ist für drei Dinge bekannt: Erstens, die idyllische Altstadt auf einer Insel mit dem liebevollen Kaffee-Kontor und ihren Fischrestaurants. Zweitens, die Bismarckhöhe, eine Gaststätte auf einem ehemaligen Galgenberg, in der laut Selbstbeschreibung einer der schönsten Ballsäle Brandenburgs untergebracht sein soll. Drittens: das Baumblütenfest.

Für eine Woche im Frühjahr reisen mehrere Hunderttausend Menschen in diese Kleinstadt. Angelockt wurden sie ursprünglich im 19. Jahrhundert von dem Versprechen, die erblühten Obstgärten bewundern zu können.

Selbst in der spröden DDR wurde weiter gefeiert. Und nach dem Fall der Mauer uferten diese Festtage immer mehr zum Exzess aus. Ende der Neunzigerjahre kamen eine Dreiviertelmillion Menschen, nicht wenige prügelten sich. Wer in oder rund um Berlin groß geworden ist, kann meist über Jugendsünden aus den Frühlingstagen in Werder an der Havel berichten. „Brandenburgs größte Drogenparty“, schrieb das Berliner Stadtbatt „Tagesspiegel“ vor der Pandemie über das jährliche Obstbauernfest.

Ende April wird jetzt also zum ersten Mal seit drei Jahren wieder richtig gefeiert. Die Züge nach Werder an der Havel werden wohl voll sein, der Exzess kann wieder blühen.

christoph.zotter@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2023)

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