Filmkritik

"John Wick 4": Der Mann, der ständig töten muss

Ein gefährlicher Geselle: Keanu Reeves in "John Wick 4".
Ein gefährlicher Geselle: Keanu Reeves in "John Wick 4".(c) Constantin
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Über 300 Übeltäter hat die Killermaschine John Wick (Keanu Reeves) schon auf dem Gewissen. Auch im überzeugenden vierten Teil der erfolgreichsten Action-Filmreihe der Gegenwart bleibt ihm kein Gemetzel erspart. Ab Donnerstag im Kino.

Um den Ruhm der bisherigen „John Wick“-Reihe zu verstehen, muss man die reizvolle Widersprüchlichkeit ihres Titelhelden (gespielt von Keanu Reeves) begreifen. Innerlich wirkt der ehemalige Auftragskiller träge und melancholisch, aber äußerlich vollbringt er physische Höchstleistungen beim virtuosen Töten von Widersachern und deren Vasallen. In den ersten drei Teilen der Action-Saga will er eigentlich keinen der - ein YouTuber hat mal nachgezählt - 306 Morde begehen, die er zu verantworten hat. Aber äußere Umstände zwingen ihn jedes Mal dazu. In mitreißend inszenierten Kampfszenen metzelt er haufenweise Gangsterbosse und sonstige Übeltäter aus der globalen Unterwelt nieder, wirkt dabei aber nie so engagiert und überzeugt wie die schießwütigen Kraftmeier, die früher von Schwarzenegger, Stallone oder Willis verkörpert wurden. John Wick kommentiert seine Tötungen auch nicht mit trockenhumorigen Sprüchen, kathartische Racheakte sind sie für ihn nie. Trotzdem übertrifft er – rein zahlenmäßig und in derselben Zeit – locker die Tötungs-Frequenz eines Machokerls wie Rambo.

Jeder Schlag sitzt also, und jeder Schuss ist ein Treffer. Dennoch erhebt sich die Ein-Mann-Armee Wick eher aus Notwehr und mit großem Widerwillen gegen Feinde. Die Unlust und der Ekel über die eigene Allmacht und Unbesiegbarkeit sind dem Mann vor und nach jeder Attacke deutlich anzusehen. Darin besteht das Dilemma von John Wick, der sich erschöpft von Tatort zu Tatort schleppt: Die Killermaschine darf weder ein zivilisiertes Leben führen (sie war in Teil eins bereits in Rente, musste aber zurück an die Arbeit), noch einen erlösenden Tod sterben (körperlichen Schmerz erleidet sie trotzdem). Darin gleicht Wick den digitalen Avataren aus Ballerspielen: Ständig Gefahr ausgesetzt, aber nie endgültig tot zu kriegen.

Hommage ans Kampfkunstkino Asiens

In „John Wick 4“, dem jüngsten Beitrag zu Wicks immens erfolgreicher Action-Abenteuerreihe, erinnert ein hedonistisch tanzender Mob in einer Berliner Disco entsprechend an jene gleichgültigen Figuren, die im Hintergrund von Kampfspielen wie „Mortal Kombat“ und „Tekken“ als dekoratives Beiwerk herumlümmeln, während im Vordergund die Fetzen fliegen. Niemand scheint Notiz davon zu nehmen, dass sich Wick und seine Verfolger in einer Szene mitten auf der Tanzfläche prügeln und aufeinander schießen. Ein anderes Gefecht, ausgetragen auf der Straße um den Pariser Triumphbogen, veranlasst die unbeteiligten Autofahrer nicht zum Anhalten oder Verlassen ihrer PKWs: Sie ignorieren die öffentlich ausgetragene Gewalt vielmehr, sausen an ihr vorbei oder mitten in sie hinein. Das ist völlig absurd. Aber auch eine mutige Regie-Entscheidung, die den schon immer präsenten surrealen Unterton der Wick-Filme gekonnt zuspitzt.

Überhaupt gehorchte das John-Wick-Universum schon immer eigenen Gesetzen. Kein Staat, sondern der Hohe Rat - ein internationales Verbrechersyndikat - hat hier das Sagen. Keine Verfassung, sondern ein archaischer Ehrenkodex legt die sozialen Regeln fest. John Wick will die Organisation in Teil vier nicht mehr zerstören, sondern überlisten. Winston (Ian McShane), der betuchte Manager einer Herberge für Kriminelle, gibt John den weisen Rat, ihren gemeinsamen Feind – den Ober-Schurken Marquis de Gramont (aalglatt: Bill Skarsgård, bekannt als Killerclown Pennywise aus der jüngsten Verfilmung von Stephen Kings „Es") – zu einem Duell herauszufordern.

Der Bösewicht setzt seinerseits Cain, einen blinden Profikiller (brillant gespielt von der chinesischen Martial Arts-Legende Donnie Yen aus „Ip Man“), auf John an. In Osaka stürmt dieser mit einer Armada aus bewaffneten Schergen in die japanische Continental-Niederlassung. Ihr Hausherr, der Schwertkämpfer Shimazu (eine weitere Ikone des Easterns: Hiroyuki Sanada), beherbergt den gesuchten Delinquenten Wick. Und verteidigt ihn gegen die hereinstürzenden Horden. Diese Hommage an das asiatische Kampfkino und ein James-Bond-artiges Faible für Schlagabtäusche vor eleganten Sehenswürdigkeiten ergänzen den rauen Neo-Noir-Look der Reihe perfekt. Ob John dieses Mal, nach fast drei Stunden Gemetzel, endlich seine Ruhe haben darf, wie er es sich von Anfang an wünschte, bleibt die große Frage. In Pension zu gehen, das hätte er auf jeden Fall verdient. Obwohl es schwerfällt, nicht auf einen fünften Teil zu hoffen.

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