Gastkommentar

Keine Koalitionen mit den Kellernazis

Ein Appell an ÖVP und SPÖ: Politische Allianzen mit dieser FPÖ haben wiederholt zu Krisen und Skandalen geführt.

Ariel Muzicant (*1952 in Haifa) ist Präsident des European Jewish Congress.

Der Ausdruck ,Kellernazi‘ beschreibt Personen, die Ideen des Nationalsozialismus zwar nicht nach außen, aber im Verborgenen durch geheime Aktivitäten unterstützen.“ Dies war die Urteilsbegründung des Landesgerichts St. Pölten am 21. Juni 1998 (siehe Wikipedia). Der Journalist und Autor Hans-Henning Scharsach hat diesen Begriff erfunden und ihn in mehreren Publikationen verwendet.

Aufgrund diverser Gerichtsverfahren wurde schließlich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2002 erkannt, dass diese Bezeichnung für bestimmte Personen zulässig sei. (Weitere Informationen sind zu finden unter www.kellernazisinderfpoe.at). Wesentlich ist, dass nicht die Wähler der FPÖ als Kellernazis bezeichnet werden. Es sind vielmehr die Funktionäre und in den meisten Fällen Spitzenpolitiker der FPÖ – vor allem in Wien und Niederösterreich, aber auch in den übrigen Bundesländern.

Die historische Entwicklung in Österreich beginnt 1945 mit dem Verbot der NSDAP und dem Ausschluss ihrer Mitglieder vom aktiven und passiven Wahlrecht. Dies wurde 1948 rasch wieder aufgehoben, es kam zur Gründung des VdU (vorrangig durch ehemalige Nationalsozialisten). Die FPÖ wurde zu deren Nachfolgepartei.

Buhlen die ehemaligen Nazis

ÖVP und SPÖ buhlten daher ab 1948 um die Stimmen der ehemaligen Nationalsozialisten. Ein Kulminationspunkt war Kreiskys Kooperation mit Friedrich Peter und der FPÖ, es folgten die SPÖ-FPÖ-Koalition unter Fred Sinowatz, die blau-schwarze Regierung Schüssel-Haider im Jahr 2000, Türkis-Blau 2017, diverse Koalitionen mit der FPÖ wie jene der ÖVP in Oberösterreich, der SPÖ im Burgenland und jetzt in Niederösterreich wieder mit der ÖVP. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.

In Österreich, Deutschland und Frankreich führen die jüdischen Gemeinden seit Jahrzehnten eine Auseinandersetzung mit den rechtsextremen Gruppierungen dieser Länder (FPÖ, AfD, der frühere Front National etc.), weil diese eine klare Verbindung zum Nationalsozialismus, Antisemitismus und Rassismus hatten, auch wenn sie sich heute davon distanzieren.

Funktionäre, nicht die Wähler

Immer wieder kommt es aber vor, dass ihre Funktionäre (eben die Kellernazis) ertappt werden, wenn sie glauben, unbeobachtet zu sein. Siehe etwa Johannes Hübner, der einen antisemitischen Witz über Hans Kelsen (den Autor der österreichischen Verfassung) machte, daraufhin als Nationalratsabgeordneter zurücktrat, um später Bundesrat der FPÖ zu werden. Dies ist also keine Verunglimpfung der Wähler der FPÖ, sondern die konsequente Ablehnung dieser FPÖ-Funktionäre. Letztere arbeiten mit Hass, Neid, Angst und spalten die Gesellschaft. Demonstrationen gegen die Coronaimpfung mit einem gelben Judenstern und antisemitische Hetze im Internet standen und stehen auf der Tagesordnung.

Koalitionen mit dieser FPÖ haben oft zu Krisen und Skandalen geführt. Drei Koalitionen im Bund mussten vorzeitig beendet werden, sie dienten eigentlich nur der kurzfristigen Machterhaltung des Koalitionspartners. Immer wieder kommt es auch zum Verdacht von strafrechtlich relevanten Handlungen (siehe Graz) – es gilt die Unschuldsvermutung.

Feststellungen der FPÖ-Koalitionspartner, es handle sich ja um eine demokratisch gewählte Partei, sind eine Irreführung. Auch Adolf Hitler wurde zunächst demokratisch gewählt (hier soll kein Vergleich zu Kickl & Co. gezogen werden). Auch dort glaubten die konservativen Kräfte, Hitler in Schach halten zu können. Die Folge waren über 50 Millionen Tote in Europa und die Quasivernichtung des europäischen Judentums.

Daher nochmals mein Appell: Keine Koalition mit den Kellernazis! Wehret den Anfängen!

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2023)

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