Mein Dienstag

Belgiens Malaise, am Beispiel Delhaize

Seit einem Monat sind all Supermärkte der größten Kette Belgiens wegen Streiks geschlossen. Alle? Nein - jene in Flandern haben geöffnet. Und das hat gute Gründe.

Der erste Supermarkt Belgiens öffnete im Jahr 1957 seine Pforten, an der Brüsseler Place Flagey. Seit knapp einem Monat allerdings ist er geschlossen, ebenso wie alle anderen 22 Filialen in der Hauptstadt und der Großteil jener in Wallonien. Denn nachdem die Konzernführung Anfang März angekündigt hat, sämtliche 128 noch direkt geführten Supermärkte an Franchisenehmer abzugeben, wird hier gestreikt (fünfmal so viele sind bereits im Franchisesystem). Die Gewerkschaften und viele Arbeitnehmer befürchten, aufgrund ihrer Unterstellung unter einen anderen Kollektivvertrag soziale Rechte zu verlieren, so zum Beispiel, 36,5 Stunden pro Woche arbeiten zu müssen statt wie bisher 35 Stunden, oder geringere Sonderzahlungen. Das Management des Konzerns hat zwar zugesichert, dass alle Mitarbeiter, die zu einem Franchisenehmer wechseln, ihre Arbeits- und Entlohnungsbedingungen behalten. Das hat die Gewerkschaften bisher nicht befriedigt.

In Flandern allerdings sind fast alle der 65 konzerneigenen Filialen geöffnet. Woran liegt das? Die linksliberale Tageszeitung „Le Soir“ hat das jüngst zu beantworten versucht, und das Ergebnis betrübt mich ebenso, wie es meine Vorstellung von den grundlegenden Problemen Belgiens bestätigt. Die interviewten frankophonen Gewerkschafterinnen jammerten darüber, dass „die im Norden“ individualistischer und weniger solidarisch seien – gaben aber zugleich zu, dass die Arbeitslosigkeit in Flandern viel niedriger und darum der Umgang mit den Arbeitnehmern besser sei als im Süden. Zudem seien 40 Prozent der Franchise-Interessenten aktuelle Delhaize-Mitarbeiter, die „ihren“ Supermarkt nach eigenen Vorstellungen führen wollen. Sie seien fast durchwegs Flamen, und sie hätten ihre Pläne schon vorab ihren Kollegen erklärt. Das habe viele Ängste in Luft aufgelöst. „Was wir selber machen, machen wir besser“, ist eine bisweilen zu Recht kritisierte Losung des flämischen politischen Establishments. Im Fall von Delhaize würde ich das unterschreiben.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

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