Gastkommentar

Vorösterlicher Bildersturm

(c) Peter Kufner
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Die Aufregung über streitbare Fastentücher in katholischen Gotteshäusern in Innsbruck und Klagenfurt ist müßig.

Der Autor

Martin Kolozs (*1978) ist Autor und katholischer Publizist, lebt in Wien.

Er hat es schon wieder getan! Oder auf gut Tirolerisch: Iatz hots er scho wieda tun! Die Rede ist von Diözesanbischof Hermann Glettler, der, nach dem umstrittenen Fastentuch „Tired?“ von Carmen Brucic in der Universitätskirche Innsbruck im vergangenen Jahr, das einen nackten, schlafenden LGBT-Aktivisten zeigte, auch heuer wieder die Gemüter gegen sich bzw. seinen (eigenwilligen) Kunstgeschmack aufbringt.

Dieses Mal, indem er in der innerstädtischen Spitalskirche ein Fastentuch des Wiener Fotokünstlers Peter Garmusch präsentiert, das ein mit einem Gummiband eingeschnürtes Schweineherz darstellt und welches seine Befürworter als ein aktuelles Sinnbild für die grassierende Herzensenge der Gesellschaft, seine Kritiker hingegen als eklatante Verhöhnung des Heiligen Herzens Jesu interpretierten.

Entsprechend schnell war eine Petition ins Leben gerufen, die die Demontage des sogenannten Ekelbildes einforderte. Bald waren über 2000 Unterschriften gesammelt, auf welche Bischof Hermann – nun um Versöhnung bemüht – reagierte, indem er das inkriminierte Fastentuch zum Palmsonntag wieder abhängen ließ.
Ähnlich gelagert in ihren Furor war 2020 der Sturm der Entrüstung gegen den „Rosa Pulli“ von Erwin Wurm im Wiener Stephansdom und ist momentan das Aufbegehren gegen die Installation „Lingua – sprachlos“ von Ina Loitzl im Dom zu Klagenfurt, durch welche sich manche Gläubige die freche Zunge gezeigt oder an eine entblößte Vulva erinnert fühlen.

Bußübung der Gläubigen

Obwohl ich kein ausgesprochener Freund oder Kenner der zeitgenössischen Kunst bin und ich dem konservativen Flügel der römisch-katholischen Kirche zuzuordnen bin, verstehe ich die Aufregung nicht. Insofern der Sinn eines jeden Fastentuches seit jeher darin liegt, das Göttliche während der 40-tägigen Fastenzeit in seiner irdischen, teils verherrlichenden Zurschaustellung – als Kruzifix, Altarbild usw. – zu verhüllen. Das „Fasten der Augen“ somit zu einer Bußübung der Gläubigen wird, die durch das Fehlen von Trost-, Hoffnungs- und Erbauungsbildern brutal zurückgeworfen werden auf die Welt im Ist-Zustand und ihre zahlreichen eigenen Verfehlungen, um sich als Sünder erkennen und bekehren zu können.

Unbestreitbar ist diese Funktion der Fastentücher heute weitgehend vergessen. Oder es fehlt den meisten Menschen (auch vielen Christen) an der spirituellen Kompetenz, sich unter Zuhilfenahme eines „Hungertuches“ mit rein biblischen Abbildungen oder einer schlichten Weißstickerei in den Zustand der rückhaltlosen Selbstreflexion zu versetzen. Deshalb ist es nur richtig, mit anderen Mitteln, die satten, selbstgefälligen Gemüter zu irritieren, was – quod erat demonstrandum – am einfachsten mit Kunstwerken gelingt, die Glauben und Kirche den kalten Spiegel vorhalten, und sei es nur in den unschönen Reaktionen auf das Gezeigte, Nicht-Göttliche, Allzu-Menschliche.

Was ich damit sagen will: Die Fastentücher, die in der Spitalskirche in Innsbruck und im Dom zu Klagenfurt hängen, mögen nicht schön, nicht würdig, nicht entsprechend den Erwartungen sein, aber das sollen sie auch nicht. Ihr Sinn liegt im Gedanken, dessen wir uns als Christgläubige gewahr werden sollten, dass wir selbst nicht würdig, nicht entsprechend sind, aber dennoch am Ostersonntag, mit Jesu Auferstehung, errettet werden.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2023)

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