Gastkommentar

Steckt die EZB in einer Sackgasse?

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Der EZB muss es gelingen, die Geldpolitik zu straffen und den Preisanstieg merklich zu bremsen.

Die Autorin

Monika Merz ist Professorin für Makroökonomik an der Universität Wien. Sie ist Mitglied im CEPR, London. Der Kommentar basiert auf einem Vortrag, den sie am 22.3.2023 bei der Konferenz „The ECB and its watchers“ in Frankfurt a. M. gehalten hat.

Seit Februar 2022 erleben wir mehrere Krisen gleichzeitig. Da weckt die Nachricht, dass zumindest bei der Inflation das Schlimmste inzwischen vorüber sei, ein wenig Hoffnung. Sie kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die durchschnittliche Inflation in der Eurozone derzeit mit knapp sieben Prozent immer noch historisch hoch ist. Die Gefahr von anhaltend hoher Inflation ist längst nicht gebannt. Schuldner mag es freuen, weil ihre Schulden durch Inflation schrumpfen. Aber alle anderen verlieren dabei nicht nur einen Teil ihrer Ersparnisse, sondern auch Kaufkraft und ein Stück wirtschaftlichen Wohlstand. Zudem verunsichert Inflation, sie führt zu Zurückhaltung bei Konsum, Investitionen und der Produktion von Gütern und Diensten und mittelfristig zu niedrigerem Wirtschaftswachstum. Das ist dringend nötig angesichts der angehäuften Staatsschulden.

EZB muss Vertrauen gewinnen

Entscheidend ist jetzt, dass es der EZB gelingt, durch ein klares Bekenntnis zu ihrem Mandat stabiler Preise und einer konsequenten Straffung der Geldpolitik den Preisanstieg merklich zu bremsen. Dadurch gewinnt sie das Vertrauen zurück, das zwischenzeitlich gefährdet war, weil sie sehr spät und anfänglich zu zögerlich auf die Inflation reagierte, als diese bereits deutlich über ihrem Zielwert lag. Dass die Finanzmärkte diese Einschätzung teilen, zeigt die positive Reaktion der Aktienmärkte auf die jüngste Erhöhung ihrer Leitzinsen zum 22. März. Angesichts stabiler Konjunkturdaten im Euroraum, aber immer noch stark negativer Realzinsen erscheint eine weitere Anhebung realistisch. Denn sollte sich die Inflation verfestigen, dann hätte dies fatale Folgen für die Wirtschaft im Euroraum.

Wie konnte die Inflation in der Eurozone im vergangenen Jahr derart aus dem Ruder laufen? Schenkt man den Zuständigen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) Glauben, dann ist die Inflation vor allem auf Engpässe bei internationalen Lieferketten sowie stark gestiegene Energiepreise zurückzuführen, wobei sich deren Anstieg mit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine noch einmal verschärft hat. Außerdem verstärkt sich der Fachkräftemangel auf den europäischen Arbeitsmärkten spürbar, wodurch zusätzlicher Druck auf die Löhne entsteht. Gestiegene Löhne wiederum reichen die betroffenen Unternehmen an ihre Kundschaft weiter, indem sie ihre Preise anheben. Dies alles trägt zur Inflation bei. Auf diese realwirtschaftlichen Entwicklungen hatte die EZB natürlich keinen Einfluss. Das Ausmaß des Preisanstiegs hängt aber in entscheidendem Maß auch von der für die Zukunft erwarteten Inflation ab, und dafür ist die Geldpolitik der EZB sehr wohl verantwortlich!

Zu einer vollständigen, ehrlichen Antwort gehört, dass die EZB zwischen 2015 und dem Sommer 2022 eine extrem lockere Geldpolitik verfolgt hat. Dazu zählten neben Leitzinsen von null Prozent mehrere große Ankaufprogramme für staatliche und private Anleihen. Durch sehr niedrige Zinsen wurden Konsum und Investitionen – sowohl privat als auch öffentlich – angeregt und staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung krisenbedingter Rezessionen erleichtert. So weit, so gut. Anstatt das billige Geld für überfällige Investitionen in Infrastruktur und Bildung zu nutzen, diente es in Krisenzeiten indirekt der Finanzierung zusätzlicher öffentlicher Konsumausgaben inklusive sozialer Transfers. Private Firmen nutzten zwar billige Kredite, um ihre Investitionen in wachstumsfördernde moderne Produktionsanlagen zu steigern und die Digitalisierung voranzutreiben. Insgesamt ist es aber nicht gelungen, die wachsende Kluft zwischen dem Euroraum und anderen führenden Wirtschaftsnationen in dieser für die Zukunftsfähigkeit so wichtigen Investitionskategorie zu verringern.

Stattdessen ist die durchschnittliche öffentliche Schuldenquote in den Euro-Mitgliedsländern bis Ende letzten Jahres auf 100 Prozent angewachsen. Das jährliche Wirtschaftswachstum ist seit der pandemiebedingten Rezession im Jahr 2020 zwar wieder positiv, aber weiterhin schwach. Angesichts des anhaltend hohen Geldmengenwachstums, das bis Anfang 2023 andauerte, verwundert es kaum, dass die Inflationsrate bereits Ende 2021 bei über fünf Prozent lag, noch ehe der russische Angriffskrieg die Energiepreise in die Höhe schnellen ließ und die Inflation weiter anheizte.

Folgen für Staatsfinanzen

Steckt die Geldpolitik der EZB in einer Sackgasse? Keineswegs. Das Gebot der Stunde ist eine konsequente Bekämpfung der Inflation durch ihre geldpolitischen Instrumente. Denn verfestigen sich erst einmal Erwartungen einer anhaltend hohen Inflation, steigen Reallöhne und langfristige Realzinsen weiter. Dies hätte nicht nur Folgen für den Arbeitsmarkt, sondern auch für die Staatsfinanzen im Euroraum. Stark steigende Löhne lassen die Personalkosten steigen, und steigende Zinsen erhöhen bei der angesammelten hohen Staatsschuld die zukünftige Zinslast. Beides beschneidet die Staaten in ihrer Möglichkeit, dringend benötigte Investitionen in die Zukunftsfähigkeit der Eurozone zu tätigen.Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

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