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Neues Album: Feist grübelt über Tod und Mutterschaft

(c) MARY ROZZI
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Leslie Feist, die große Indiepop-Chansonnière, ist mit 47 Jahren erwachsen geworden: Ihr neues Album „Multitudes“ erzählt Geschichten aus neuer Sicht, aber mit alten Stilmitteln.

Das Ich, das sind oft mehrere. Diese Erkenntnis zieht sich durch die Literatur wie durch die Popmusik. Der französische Dichter Rimbaud wandte sich mit seinem Diktum „Je est un autre“ krass von sich selbst ab. Sein US-Kollege Walt Whitman ging konzilianter mit sich um: Im epischen Poem „Song of Myself“ grübelte er über die Widersprüchlichkeiten seines Wesens und kam zum Schluss, dass er aus Vielheiten bestünde: „I contain multitudes.“ Diese Formel kaperte Bob Dylan für einen seiner jüngsten Songs.

Sie gefiel wohl auch der kanadischen Liedermacherin Leslie Feist, die ihr sechstes Album „Multitudes“ nennt. In einer intensiven Nabelschau geht sie der Idee von der Vielfalt im Ich nach. Das gipfelt bereits in der Eröffnungsnummer in einem gesanglichen Gestus, den man bisher nicht von ihr kannte: Die 47-Jährige schreit zum ersten Mal in ihrer Karriere. Damit exorziert sie nicht nur ihre eigenen, sondern reflektiert auch die kollektiven Ängste. Allein, ihr Energieausbruch wird ihr rasch unheimlich: „And if I'm frightened it's just because of the power vested in me“, intoniert sie in barmendem Ton.

Sie hat ein Mädchen adoptiert

Sechs Jahre sind ins Land gegangen, seit Feist ihr bislang letztes Opus „Pleasure“ veröffentlicht hat. Da ist einiges in ihrem Leben passiert. Ihr Vater ist gestorben, sie hat ein kleines Mädchen namens Tihui adoptiert. Ereignisse, die ihre Sicht auf die Welt und ihr Leben verändert haben. Die einst stolz ausgestellte Fragilität einer im Grunde doch selbstbewussten jugendlichen Indie-Chansonnière ist dahin. Damit ist beträchtlicher Charme verloren gegangen. Feist ist erwachsen geworden, grübelt über Sterblichkeit und darüber, dass sie sich mit der Adoption erstmals wirklich gebunden hat. Mit der schönen Zeile „I've never begun a forever before“ beginnt sie, von ihrer späten Mutterschaft zu erzählen. Zu einer penibel gestreichelten Akustikgitarre wagt sie einen Blick auf ihr Inneres: „I'm soft in the heart, where hard edges align.“ Den Preis des Älterwerdens, den bezahlt nun auch sie, die sich so lange ihre Mädchenhaftigkeit bewahrt hat. Irgendwann ist halt der Zeitpunkt erreicht, wo man nicht mehr mit den Möglichkeiten flirtet, sondern Optionen wählt . . .

Vieles klingt nach Mainstream

Dieser Rückzug ins traute Heim hat auch musikalische Folgen. Mit der Ausnahme von zwei krawalligeren Songs dominieren pastorale Szenerien. Was schmerzlich fehlt, sind die lustigen Rhythmen, auf denen Feists Lieder bislang so dancefloorkompatibel dahinhoppelten. In den aktuellen verschummerten Arrangements ihrer Mitstreiter Mocky und Robbie Lackritz muten viele der Lieder zwar authentisch an, aber auch ziemlich monoton. Ohne viel Not klingt vieles auf „Multitudes“ nach Mainstream. Was überrascht, denn Feist wich ja Mitte der Nullerjahre ganz bewusst der großen Karriere nach ihrer Grammy-Nominierung aus. Sie blieb in ihrer Musik recht störrisch, schwänzte Termine, mied Award-Veranstaltungen.
Nun macht sie Kompromisse. Dennoch charmieren auch manche neuen Lieder mit unantastbarer Schönheit. Etwa „The Redwing“, wo Feist sich von einer Rotdrossel ansingen lässt und sich dabei Gedanken über die Kraft des Singens macht, von Mühelosigkeit schwärmt. Diese gelingt leider zu selten auf „Multitudes“. Ein Lied, das ihr hörbar locker über die Lippen ging, ist „Womankind“, eine vielstimmige Ode an die Weiblichkeit: „Be of higher mind, be of womankind“, lautet Feists Losung. Ein anderes Highlight ist das mit Baritonsaxofon und Geigen ausgestattete „I Took All of My Rings off“, das in simplen Sprachbildern die alte Fabel von der Abwendung vom Materialismus erzählt. In der Mitte des Liedes zersplittert das Arrangement, und Feists Stimme driftet in Richtung Wunderlichkeit à la Björk ab.

Das Gros der neuen Songs bleibt im Vorhersehbaren. Zuweilen wird es schmerzhaft lieblich. Wie in „Martyr Moves“, in dem Feists Stimme von einer leicht nervigen Flöte begleitet wird. Fazit: Dieses Album hört man am besten im Liegen.

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