Intelligent Design: Eine Expertendiskussion

Was wollte Kardinal Schönborn mit diesem Begriff? Eine Expertendiskussion.

Die Presse: Die Diskussion zwischen Evolutionstheorie und Kirche, ausgelöst von Kardinal Schönborn, der sich in einem Artikel in der "New York Times" vom 7. Juli 2005 als Unterstützer der Intelligent-Design-Theorie gezeigt hat, markiert eine Verständnisfrage zwischen Wissenschaft und Glaube. Viele haben den Eindruck, dass man schon einmal weiter war in der anerkannten Abgrenzung dessen, was man philosophisch wohl Sprachspiele nennen würde. Waren wir tatsächlich schon weiter, Herr Holl?

Adolf Holl: Ich habe vor mehr als 35 Jahren dem Herrn Kardinal König eine Rede geschrieben, die er auch brav aufgesagt hat vor den versammelten Nobelpreisträgern in Lindau am Bodensee. In dieser Rede ist Kardinal König auf selbstverständliche sozialwissenschaftliche Voraussetzungen eingegangen, die für jemanden, der als Theologe sozialisiert ist, und für einen anderen, der als Naturwissenschaftler sozialisiert ist, einen Unterschied generieren, von dem der Herr Kardinal gesagt hat, er verstünde ihn, dass nämlich ein Naturwissenschaftler anders reden muss als ein Theologe. Diese Bemerkung hat, soweit ich weiß, erbitterten Widerstand der Sowjets hervorgerufen, sodass ein Jahr später in einem russischen Publikationsorgan diese Rede abgedruckt und von einem Spitzenideologen der UdSSR attackiert wurde. Als Zeichen, dass eine verständnisvolle Haltung eines Kirchenfürsten gegenüber Naturwissenschaftlern den Sowjets viel gefährlicher erschienen ist als eine kämpferische Position. Das hat sich offenbar weder bis zum Kardinal Schönborn noch bis Rom herumgesprochen hat. Wir waren schon weiter, jawohl!

Josef Mitterer: Ich glaube, dass die katholische Kirche im Unterschied zu den protestantischen Kirchen in den letzten Jahrzehnten eine sehr deutliche Position pro Wissenschaften eingenommen hat. Gerade in der Frage des "Intelligent Design" haben sich einige der prominentesten katholischen Wissenschaftler wie etwa George Coyne, der Direktor des Vatikanischen Observatoriums, mit Kritik an Kardinal Schönborn zu Wort gemeldet und dem früheren Kardinal Ratzinger einen Brief geschrieben mit der Bitte um Aufklärung darüber, ob Schönborns Artikel über Intelligent Design jetzt ein Schritt zurück sein soll oder wie sich die Position der Kirche geändert hat.

Aber es haben ja auch viele Naturwissenschaftler Verständnis dafür, dass jemand wie Kardinal Schönborn sich gegen etwas wendet, was man Evolutionismus nennt.

Mitterer: Nur hat Kardinal Schönborn diese Kritik am Evolutionismus erst im November geübt. In seinem Artikel in der "New York Times" hatte er noch keine Unterscheidung gemacht zwischen Evolution, der Kritik an der Evolutionstheorie und der Kritik am Evolutionismus. Die Unterscheidung hat er vermutlich erst nach der Kritik von Nicola Cabibbo, des Präsidenten der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, getroffen. Danach hat er die Position eingenommen, dass der Evolutionismus eine Grenzüberschreitung des Evolutionstheoretikers darstellt, und der muss in seine Grenzen gewiesen werden. Da kommt der Wissenschaftler in die Doppelmühle: Sagt er etwas über die Evolutionstheorie hinaus, betreibt er Evolutionismus und wird kritisiert, wenn das nicht in Richtung eines göttlichen Schöpfers geht. Beschränkt er sich auf die Wissenschaft, ist er Positivist. In diesen späteren Texten hat der Kardinal betont, dass die zentrale Absicht seines Artikels der Versuch ist, die Katholiken "aus dem dogmatischen Schlummer des Positivismus aufzuwecken".

Was ist es genau, was auch katholische Philosophen, Naturwissenschaftler entsetzt an dem, was Schönborn geschrieben hat?

Mitterer: Schönborn hat gesagt, wer Darwinismus betreibt mit der Aussage, dass die ganze Evolution richtungs- und ziellos sei und dass es um zufällige Mutationen geht, der betreibt Ideologie und nicht Wissenschaft. Die Unterscheidung zwischen Evolutionstheorie und Evolutionismus kam erst später. In der Zeitschrift "First Things" hat er einen Artikel veröffentlicht, "The Designs of Science". Darin fehlen aber alle Kritikpunkte an der Evolutionstheorie. Da fehlt jeglicher Vorwurf der Ideologie. Nur der Schaden ist angerichtet drüben. In den USA heißt es, ein führender Kardinal der katholischen Kirche sagt, Intelligent Design ist Wissenschaft, und Evolutionstheorie ist Ideologie.

Ein Theologe kommt in seiner Wissenschaft, und das ist ja auch eine Wissenschaft, an seine Grenzen. Theologie zu betreiben ohne die Idee eines Schöpfergottes, katholische Theologie zumal, ist ja auch nicht gerade einfach.

Holl: Es ist auch nicht einfach, Theologie zu betreiben, ohne eine fest umrissene Jesus-Gestalt zur Verfügung zu haben. Seit dem Buch von Albert Schweitzer über die Jesusforscher wissen wir, dass wir möglicherweise einem Phantom nachjagen, von dem niemand genau weiß, wie es ausgeschaut hat. In Bezug auf sämtliche Glaubensartikel im wichtigsten christlichen Glaubensbekenntnis ist die gegenwärtige Diskussion eher in Bezug zu führen auf die Gottesfrage, insbesondere nach Auschwitz, und nicht in Bezug auf die Gottesgewissheit. Da brauchen wir keinen Kardinal Schönborn, der uns sagt, wie wir - ich betone nach Auschwitz - mit Gott zu Rande kommen.

Trotzdem lässt sich ja die religionsgeschichtliche Idee des Christentums ohne den Glauben an einen Schöpfergott nicht machen, oder?

Holl: Sie lässt sich durchaus machen, sage ich sowohl als katholischer Theologe als auch als Religionswissenschaftler, wenn ich bereit bin, zu den Quellen zurückzugehen, nämlich in die ersten 150 Jahre nach Christi Geburt. Sobald ich mir diese Quellen anschaue und die damaligen Richtungen, komme ich nicht auf ein Christentum, sondern auf mindestens sechs: nämlich nicht nur von Matthäus, Markus, Lukas, Johannes, sondern noch von Thomas und Paulus. Wenn ich die dann inspiziere, komme ich heute sehr gut über die Runden, als Theologe wie als Religionswissenschaftler. Ich kann in einem liturgischen Konzept sagen, ich glaube an Gott den Allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde. Das sind aber keine Aussagen in dem Sinne, wie wenn ich sage, Australien ist eine Insel. Wenn man diese Unterscheidung nicht beachtet, kommt man genau in diese Sackgasse hinein, in welcher der Herr Kardinal Schönborn jetzt sitzt.

Die Reaktionen katholischer Wissenschaftler in den USA lässt den Schluss zu, dass es um eine Art Neudefinition der gesellschaftlichen Machtanordnungen geht.

Holl: Die angesehene "Templeton-Foundation" hat seit mindestens 20, 30 Jahren den Zweck, alle wissenschaftlichen Unternehmungen zu fördern, und zwar mit ungefähr 40 Millionen Dollar pro Jahr, welche der Geltung und dem gesellschaftlichen Anspruch von religiösen Inhalten förderlich sind. Nun höre ich, dass die Templeton-Foundation dem "Discovery-Institute", mit dem Kardinal Schönborn in Kontakt ist, die Unterstützung verweigert hat. Das heißt, das ist keineswegs ein Kampf zwischen extremistischen Papisten, wie man in Amerika sagen würde, und Evangelikalen, sondern das ist ein Kampf innerhalb der Auffassung, was Wissenschaft leisten kann und was nicht - unabhängig von kirchlichen Bindungen.

Mitterer: Die "Discovery"-Leute sagen, Intelligent Design ist der Versuch, ein neues Paradigma zu etablieren, während die Evolutionstheorie schon fast 150 Jahre alt ist. Man versucht nicht, die Evolutionstheorie zu ersetzen durch Intelligent Design, sondern man sagt, unterrichten wir die Vor- und Nachteile der Evolutionstheorie. Aber wir unterrichten im Physik-Unterricht ja auch nicht Gravitationstheorie und eine Alternative dazu. Genauso wenig kann man verlangen, dass wir die Evolutionstheorie in Frage stellen. Jetzt heißt es nur mehr "Teach the controversy". Es ist kein Zufall, dass gerade die "Legionäre Christi" Kardinal Schönborns Texte zuerst auf die Website stellen, dass er selber zum Beispiel erzählt, dass er im wissenschaftlichen Beirat der seit 50 Jahren ersten neu gegründeten katholischen Universität in den USA, nämlich in Naples, Florida, ist. Das ist die Ave-Maria-Universität. Holl: Damit werden neue politische Strategien im religiösen Umfeld, damit werden - ich nehme an unwillkürlich - vom Herrn Kardinal amerikanische und in unserer europäischen Sicht unangenehmste Streitereien zwischen diesen so genannten Kreationisten usw. nach Europa transportiert. Was ich jedenfalls von Religionslehrern höre, ist auch hier eine Betroffenheit, denn wir haben längst Wege gefunden, die auch festgehalten sind in Religionslehrbüchern. Das haben wir alles schon hinter uns. Und jetzt passt das auf einmal nicht mehr, und zwar sozusagen vom Stephansplatz über die "New York Times" wieder zurück auf den Stephansplatz.

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