Gastkommentar

Das Trilemma der Inflation

Teuerung. Die unsichere Preissituation lässt Unternehmen und Haushalte schwer planen. Und sie führt zu Verteilungskonflikten.

Der Autor

Konstantin M. Wacker ist Assistenzprofessor an der Universität Groningen und forscht insbesondere zu multinationalen Konzernen und ihren Investitionsentscheidungen.

Die anhaltend hohe Inflation bringt Ökonomen in ein Dilemma: Mit konventionellen Rezepten volkswirtschaftlicher Kochbücher scheint man ihr nicht beizukommen. Nie zuvor hat die Europäische Zentralbank (EZB) als Hüterin der Preisstabilität ihre Zinsen so stark erhöht wie innerhalb des vergangenen Jahres – und dennoch bleibt die Inflationsrate hoch. Die unsichere Preissituation lässt Unternehmen und Haushalte schwer planen. Und sie führt zu Verteilungskonflikten. In Österreich waren zuletzt Wohnen, Wasser und Energie der größte Preistreiber. Darunter leiden in erster Linie ärmere Haushalte.

Sollen angesichts dieser Situation die traditionellen wirtschaftspolitischen Rezepte also hinterfragt werden? Oder ist es besser, auf Altbekanntem zu beharren und sich irgendwie durchzuwursteln – auf die Gefahr hin, dass die Inflation in einer Preisspirale davongaloppiert?

Weil die hohen Inflationsraten und ihre Verteilungswirkungen auch ein wichtiges Wahlmotiv sind, diskutiert die Politik gerade mehrere Vorschläge. Dabei sind selbst Preiskontrollen kein Tabu mehr. In vielen europäischen Ländern betreffen diese mittlerweile Energie- und Wohnpreise. Auch ein temporärer Preisstopp auf bestimmte Grundnahrungsmittel im Lebensmittelhandel wäre eine solche Preiskontrolle – sofern sie nicht, wie im französischen Modell, rein freiwilligen Charakter hätte.

Preisstopp ja oder nein?

Die Idee von Preiskontrollen schmeckt manchen Ökonomen nicht: Sie betonen, dass Preise in einer Marktwirtschaft eine zentrale Funktion erfüllen, indem sie Angebot und Nachfrage langfristig ausgleichen. Politisches Eingreifen würde diesen Mechanismus stören. Dieses Argument ist bei hohen Inflationsraten schon an sich zweifelhaft, da volatile Preise deren marktkoordinierende Rolle untergraben.

Vor allem setzt die volkswirtschaftliche Binsenweisheit von marktkoordinierenden Preisen jedoch einen funktionierenden Markt voraus, in dem es keine wettbewerbsbeherrschende Stellung von Konzernen gibt. Das widerspricht der empirischen Evidenz: Zahlreiche Wirtschaftsforscherinnen und -forscher haben über die letzten Jahrzehnte wachsende Konzernmacht dokumentiert. Mittlerweile hebt selbst die EZB die außergewöhnlich große Rolle von Konzerngewinnen für die Inflation hervor. Insofern ist die Sorge berechtigt, ob mögliche Mehrwertsteuersenkungen von Einzelhandelsketten an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergegeben werden. In einzelnen europäischen Ländern scheint dies funktioniert zu haben. Doch angesichts der traditionell hohen Anbieterkonzentration im österreichischen Einzelhandel sind hierzulande Skepsis und Begleitmaßnahmen angebracht, etwa in Form von verstärktem Preis- und Wettbewerbsmonitoring.

Wohlfahrt erhöhen?

Der englische Ökonom Arthur Cecil Pigou hatte bereits vor einem Jahrhundert darauf hingewiesen, dass in einem solchen Umfeld, in dem wenige Firmen den Markt dominieren, Preiskontrollen die volkswirtschaftliche Wohlfahrt erhöhen können. Und so wird aus dem eingangs erwähnten inflationspolitischen Dilemma für manche Ökonomen und Ökonominnen ein Trilemma: Wer die Volkswirtschaftslehre ernst nimmt und in Zeiten hoher Inflation politische Preiskontrollen ausschließt, muss gegen die marktbeherrschende Stellung einzelner Konzerne vorgehen.

Wer beides ausschließt, kann es im Gegenzug mit der Wirtschaftswissenschaft dann doch nicht so ernst nehmen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2023)

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