Zukunftsforschung

Wie die Zukunftsforschung jetzt schon weiß, was morgen kommt

Zukunftsforschung ist alles andere als der Blick in die Glaskugel. Auf Basis wissenschaftlicher Methoden werden hypothetische zukünftige Szenarien beschrieben.
Zukunftsforschung ist alles andere als der Blick in die Glaskugel. Auf Basis wissenschaftlicher Methoden werden hypothetische zukünftige Szenarien beschrieben.Getty Images
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Lange Zeit von selbsternannten Zukunftsgurus dominiert, hat die Futurologie als eigene interdisziplinäre Wissenschaft einen Wendepunkt erfahren. Und nimmt in der Berufswelt eine wichtige Rolle ein.

Oftmals hilft in einer von Krisen gebeutelten Welt nur die Flucht nach vorn. Oder besser: der Blick nach vorn. Dabei helfen Zukunftsforscher, die die ganz großen Fragen stellen und die großen Entwicklungszyklen im Blick haben.

Aber wie kann man etwas erforschen, wenn der Untersuchungsgegenstand, nämlich die Zukunft, grundsätzlich durch Abwesenheit glänzt? „Zukunft ist immer auch Gegenwarts- und Vergangenheitsforschung“, sagt Reinhold Popp, Professor für humanwissenschaftliche Zukunfts- und Innovationsforschung an der Sigmund Freud Privatuniversität (SFU). Auf Basis der Analyse des Jetzt werden mit wissenschaftlichen Methoden mögliche, wünschbare und wahrscheinliche Zukunftsentwicklungen prognostiziert. Politik und Wirtschaft investieren in diesen Bereich: VW und Siemens haben mittlerweile eigene Abteilungen für Zukunftsforschung eingerichtet, um neue Geschäftsfelder zu identifizieren. Die Politik nutzt Zukunftsforschung als Entscheidungshilfe für die großen Programmlinien.

Zukunfsgurus postulieren alternativlose Megatrends

Leider werde Zukunftsforschung immer noch stark mit populistischen Vorhersagen „wissenschaftsferner Zukunftsgurus“ verknüpft, meint Popp. Diese bezeichnen sich selbst als „Forscher“, würden aber vor allem populistische Prognosen produzieren, die die Meinungsbilder und Marketinginteressen ihrer Auftraggeber bestätigen. „Diese stark vereinfachten Prognosen, die oft mit der Vorstellung alternativloser Megatrends einhergehen, werden der Vielfalt unseres Lebens nicht gerecht“, meint der Professor. Zukunft sei komplex und von vielen möglichen Szenarien geprägt. Nicht umsonst spreche man im Englischen von den „futures studies“, also von mehreren möglichen Zukünften.

» „Diese Gurus bezeichnen sich selbst fälschlich als „Forscher“, produzieren jedoch vor allem populistische Prognosen, die die Meinungsbilder und Marketinginteressen ihrer Auftraggeber bestätigen."«

Reinhold Popp, Professor an der SFU Privatuniversität Wien

Wie die Zukunftsforschung zu ihren Prognosen kommt 

In der Wissenschaft haben positives „Alles wird gut“- oder dystopisches Weltuntergangs-Gerede keinen Platz. Vorhersagen werden hier unter anderem mithilfe von Szenarien, also „Wenn-dann-Analysen“, getroffen: „Wenn im Hinblick auf eine konkrete Herausforderung die Maßnahme A gesetzt wird, dann ist der überwiegend positive Szenariostrang X plausibel. Bei Maßnahme B spricht dagegen vieles für den negativen Szenariostrang B“, erklärt Popp die Methode. Positive oder negative Prognosen werden hier nicht von der Grundstimmung der Forscher, sondern von der Qualität der wissenschaftlichen Analysen bestimmt.

Futurologie-Master an der FU Berlin 

An der Freien Universität in Berlin (FU Berlin) wird in einem interdisziplinären Masterprogramm der Grundstock wissenschaftlicher Methoden in der Zukunftsforschung vermittelt. Es handelt sich um den ersten Lehrstuhl für die neue interdisziplinäre Wissenschaft, die dadurch auch einen Schub an Seriosität erfahren hat. In den USA, den skandinavischen Ländern, aber auch in Taiwan kann man sich schon länger zum Futurologen ausbilden lassen. Reinhold Popp war an der Gründung des viersemestrigen Masters maßgeblich beteiligt: „Der große Vorteil des Studiengangs ist, dass hier Menschen aus unterschiedlichsten Disziplinen zusammenkommen, die sich bereits im Bachelorstudium ein gewisses Grundwissen in einer Disziplin angeeignet haben und dieses Grundwissen im Master auf bestimmte Zukunftsfragen hin ausarbeiten können.“

»„Ich wollte ein umfassendes Verständnis von Technologie und Innovation erlangen, um zukünftige Entwicklungen positiv mitzugestalten“«

Karen Stock, Zukunftsforscherin und Foresight Consultant

Für Karen Stock war der Master an der FU Berlin die logische Fortsetzung ihres Bachelorstudiums in „Medien und Kommunikation“: „Ich wollte ein umfassendes Verständnis von Technologie und Innovation erlangen, um zukünftige Entwicklungen positiv mitzugestalten“, erklärt die mittlerweile als Foresight Consultant tätige Zukunftsforscherin. Im Studium lernte sie Methoden kennen, um anhand aktueller Daten und vergangener Entwicklungen hypothetische Szenarien in der Zukunft zu simulieren. Mobilität in der Stadt von morgen war ein großes Forschungsthema, die Auswirkungen von KI auf die Arbeitswelt ein anderes.

Zukunftsforschung in der Praxis: Als Foresight Consultant und am Audi-Standort

Dieses Wissen kann sie im Beruf praktisch anwenden: „Als Foresight Consultant beschreibe ich mögliche Zukunftsfelder und helfe damit den Unternehmen, neue Wachstumsfelder zu erschließen und auf Unsicherheiten und Veränderungen schnell und agil reagieren zu können.“ Dafür verwendet sie neben der Szenario-Analyse die Delphi-Logik, bei der auch Expertenmeinungen eine wichtige Rolle in der Beschreibung zukünftiger Entwicklungen spielen. Ihre Kunden reichen von Unternehmen aus der Luft- und Raumfahrt über Pharmafirmen bis hin zur Technik- und Mobilindustrie.

» „Die Studierenden lernen, zukunftsfähige Geschäftsmodelle aufzubauen, bewerten bestimmte Technologien dahingehend und bringen auch ethische und soziokulturelle Perspektiven ein.“«

Alexander Schönmann, Professor THI

Auch an der Technischen Hochschule in Ingolstadt, wohlgemerkt dem Audi-Standort, wird seit Oktober 2021 ein dreisemestriger Master in „Global Foresight and Strategic Management“ angeboten. Der Fokus liege klar auf der Technologie, erklärt Professor und Studiengangsleiter Alexander Schönmann. Gleichzeitig werden die damit verbundenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interdependenzen erforscht. „Die Studierenden lernen, zukunftsfähige Geschäftsmodelle aufzubauen, bewerten bestimmte Technologien dahingehend und bringen auch ethische und soziokulturelle Perspektiven ein.“ Gerade dieser Mix sei spannend. In Praxisprojekten mit Industriepartnern, wie der Foresight Academy oder dem Versicherungsunternehmen DVM, können die Studierenden das Wissen in die Praxis bringen. Später kommen die Absolventen meist im Beratungsbereich oder in den Strategieabteilungen großer Konzerne unter. Die Nachfrage sei groß: Für die 30 verfügbaren Plätze habe man knapp 1000 Bewerbungen erhalten, erzählt Schönmann.

Zukunftsfragen in allen Disziplinen auf den Grund gehen

Weblinks

In Österreich sind derzeit noch keine eigenen Studiengänge etabliert, die SRH Fernhochschule bietet allerdings einen Master als Fernstudium an. Wer aber als Zukunftsforscher arbeiten möchte, muss nicht zwangsläufig einen interdisziplinären Master absolvieren, sagt Popp: „Die wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit Zukunftsfragen kann in allen Disziplinen und mit allen in der Wissenschaft anerkannten Forschungsmethoden erfolgen.“Freie Universität Berlin
Zukunftsforschung (M.A.);
www.fu-berlin.de

Technische Hochschule Ingolstadt Global Foresight and Technology Management (M.Sc.) & Foresight-Specialist (Seminar); www.thi.de

SRH-Fernhochschule
Innovation & Zukunftsforschung (M.Sc);
www.mobile-university.de

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