Junge Forschung

Brücke: "Schwingt wie eine Gitarrensaite"

Andreas Stollwitzer baut Brückenabschnitte auf dem Versuchsgelände der TU Wien nach und versetzt sie in Schwingung.
Andreas Stollwitzer baut Brückenabschnitte auf dem Versuchsgelände der TU Wien nach und versetzt sie in Schwingung. Die Presse/Clemens Fabry
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Der Bautechniker Andreas Stollwitzer analysiert das Dämpfungsverhalten von Eisenbahnbrücken für Hochgeschwindigkeitsstrecken. Im Vordergrund steht die Sicherheit der Tragwerke.

Über sieben Brücken musst Du geh'n – so lautet der Refrain des gleichnamigen Lieds aus den Achtzigern. Sitzt man in einem Railjet der ÖBB, der mit einer Höchstgeschwindigkeit von mehr als 200 Stundenkilometern die Westbahnstrecke entlangfährt, passiert man sage und schreibe 300 Brücken. Die Reisenden merken kaum etwas davon, weil die Bauwerke einerseits in den Gleisanlagen gut integriert und anderseits ausreichend dimensioniert sind. So dringen keine Stöße oder Schwingungen bis zu den Fahrgästen durch.

Die früheren Höchstgeschwindigkeiten lagen bei 120 km/h. Damit die EU ihre Klimaziele erreicht, hat sie sich unter anderem auf die Fahnen geheftet, das Hochgeschwindigkeitsnetz bis 2030 zu verdreifachen. Deshalb gehören die bestehenden Eisenbahnbrücken überprüft, ob sie diesen Geschwindigkeiten standhalten.

Der Schotteroberbau im Visier

„Der Kern meiner Dissertation war jener, dass ich den Dämpfungsbeitrag des Schotteroberbaus auf Basis von Versuchen quantifiziert und in einen einfachen Rechenansatz integriert habe“, sagt Andreas Stollwitzer, Bauingenieur und Universitätsassistent am Institut für Tragkonstruktionen der TU Wien. Der Schotteroberbau bestehe aus Schienen, Schwellen und einem 55 Zentimeter hohen Schotterbett. Welche Dämpfungscharakteristik der Schotteroberbau habe und wie man diese am besten in Rechenmodelle implementiert, sei noch die große Unbekannte.

Ein Ziel der Forschungsarbeit des 32-Jährigen ist es nun, einen effizienten Mittelweg zwischen einfachen und komplexen Rechenmodellen zu finden, um künftig langwierige Berechnungen und kostenintensive Messungen an der Brücke einzusparen. Es gehe auch darum, die in der praktischen Brückendynamik bestehende Diskrepanz zwischen Berechnung und Messung zu schließen, so Stollwitzer.

Für die Erkenntnisse seiner wissenschaftlichen Arbeit erhielt der Forscher bereits mehrere Preise und Auszeichnungen. 2021 bekam er den Award of Excellence, den Staatspreis für die besten Dissertationen vom Wissenschaftsministerium und im November 2022 den von der Boku Wien ausgeschrieben VCE – Innovationspreis für Exzellenzforschung im Ingenieurbau. Schon seine Diplomarbeit beschäftigte sich mit dem Thema, sie wurde 2018 mit dem FSV-Preis der Forschungsgesellschaft Straße-Schiene-Verkehr ausgezeichnet.

Ein großer Teil von Stollwitzers Arbeit besteht darin, dass er auf Basis von Versuchen die Dämpfungseigenschaften des Schotteroberbaus bestimmt. In der Forschungspraxis wird dazu ein Brückenabschnitt im Maßstab 1:1 auf dem Versuchsgelände der TU Wien – in St. Marx im dritten Bezirk – nachgebaut und in Schwingung versetzt. Auf Basis dieser Versuche können realitätsnahe Modelle abgeleitet werden, um die Biegelinie einer Brücke zu berechnen. „Man muss sich die Biegelinie einer Brücke wie das Schwingen einer Gitarrensaite vorstellen. Je präziser wir diese Kennlinie für eine Brücke berechnen können, desto genauere Rückschlüsse können wir ziehen, ob eine Brücke für den Hochgeschwindigkeitsbetrieb zulässig ist.“ Mittelfristig werden Ingenieurbüros die Ergebnisse von Stollwitzers wissenschaftlicher Arbeit für den Eisenbahnbrückenbau und für das Überprüfen bestehender Brücken heranziehen. Idealerweise würden seine Erkenntnisse freilich gleich in Normen und Regelwerke übernommen: „Aber das wird noch etwas dauern.“

Vom Lego-Spiel zur Bautechnik

Alles, was mit Bautechnik zu tun hatte, interessierte den Kärntner seit frühester Jugend, der mit einem Schmunzeln auf sein Spiel mit Lego-Bausteinen verweist. Eine HTL für Bautechnik in Villach war deshalb die logische Konsequenz – und schließlich auch Beginn seiner bautechnischen Forscherkarriere. Stollwitzer ist glücklich darüber, dass er seine Arbeit als Wissenschaftler im Rahmen einer Laufbahnstelle an der TU Wien fortsetzen kann. In seiner Freizeit spielt er Fußball oder hält sich mit dem Boden- und Geräteturnen fit.

Zur Person

Andreas Stollwitzer (32) wurde in Villach geboren und hat an der TU Wien Bauingenieurwesen studiert. Für seine 2021 abgeschlossene Dissertation erhielt er den Award of Excellence des Wissenschaftsministeriums und 2022 den VCE-Innovationspreis für Exzellenzforschung im Ingenieurbau. Er forscht am Institut für Tragkonstruktionen der TU Wien.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2023)

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