Daniel Domscheit-Berg war das zweite "Gesicht" der Enthüllungs-Plattform - bis ihm Julian Assanges autoritärer Führungsstil zu viel wurde. In einem Buch gibt er nun tiefe Einblicke in die "gefährlichste Website der Welt".
Die Presse: Vor ein paar Monaten haben Sie WikiLeaks verlassen. Vieles, was Sie jetzt in Ihrem Buch schildern, hätte allein schon ausreichen können, dem Projekt den Rücken zu kehren. Was war letztlich der Hauptgrund?
Daniel Domscheit-Berg: Es hat sich in einer aberwitzigen Art immer weiter zugespitzt. Angefangen damit, dass Julian (Assange, der Gründer von WikiLeaks; Anm.) irgendwann keine Kritik mehr annehmen wollte, dass immer intransparenter wurde, welche Deals er mit wem macht. Am Schluss waren wir handlungsunfähig, als er mich und die anderen aus dem Mailsystem schmiss. Er hat aber nie mit jemandem geredet, wie wir wieder auf Linie kommen könnten. Als er mir dann mit der Polizei drohte, war klar, dass es keine gemeinsame Grundlage mehr gab.
Es gab auch unterschiedliche Auffassungen über die Ausrichtung. Wurde WikiLeaks zu politisch? 2010 stand ja im Zeichen der Fehde mit den USA.
WikiLeaks ist als Vorhaben, geheime Dokumente zu publizieren, inhärent politisch. Aber als Werkzeug, das andere bedienen können, ist es neutral. WikiLeaks hat diese Neutralität verlassen und ist heute ein politischer Akteur. Das führt dann dazu, dass Julian Enthüllungen über eine große US-Bank ankündigt, und dann kommt nie etwas nach. Das sind Drohungen, mit denen man Politik macht. Auch die Art und Weise, wie die US-Depeschen veröffentlicht werden, ist politische Agitation. Ein technisches Werkzeug ist dann am mächtigsten, wenn es neutral ist und viele es nutzen können.
Was war Ihre Motivation, das Buch „Inside WikiLeaks“ zu schreiben? Es könnte leicht als Versuch einer Abrechnung verstanden werden.
Ich bin schon sehr eindeutig, aber ich glaube, es ist auch sehr ausgewogen. Es ist eine persönliche Geschichte, soll aber keine Schlammschlacht heraufbeschwören. Ich habe im September 2010 aufgrund extremer Bedenken das Projekt verlassen: Das betraf vor allem das Verantwortungsbewusstsein von Assange und den Quellenschutz.
Assange wirft Ihnen und dem als der „Architekt“ bekannten Programmierer Sabotage vor. Sie hätten bei Ihrem Abgang die Infrastruktur beschädigt und Daten mitgenommen.
Gegen diesen Vorwurf wehren wir uns vehement: Der „Architekt“ hat WikiLeaks eine Komponente entzogen, deren Urheber er ist. Und zwar die, mit der man Dokumente anonym einreichen kann. Sie wurde von ihm neu entwickelt. Es gibt aber noch das System aus der Zeit davor, das über Jahre gut funktioniert hat und wieder eingerichtet werden könnte.
Vieles ist auch eine Konsequenz der Ignoranz von Herrn Assange. Wir mussten die Verantwortlichkeiten übergeben, und dazu zählten auch etwa 3500 Dokumente. also ein im Gesamtvolumen extrem kleiner Teil. Wir wollten sie ja übergeben, uns wurde aber mitgeteilt, dass Julian zu beschäftigt sei.
Was für Dokumente sind das?
Keine Ahnung. Ich habe keinen direkten Zugriff darauf. Wir haben das deshalb gemacht, weil wir uns nicht mehr sicher waren, wie wichtig Julian der Schutz des Materials ist, wenn er sich nicht mal einen halben Tag Zeit dafür nimmt.
Was wollen Sie bei Ihrer neuen Plattform OpenLeaks anders machen?
Wir werden nur die Möglichkeit bieten, Dokumente einzusenden. wir konzentrieren uns auf das Wichtige: die Whistleblower zu schützen. Das Weitere ist Sache unserer Partner, das werden etablierte Organisationen wie Medien und NGOs sein oder Vereine, die sich mit Transparenz beschäftigen.
An diese Partner würde also die Arbeit ausgelagert, die WikiLeaks zusehends überfordert hat?
Genau, wir ziehen uns zurück, um eine Überforderung zu vermeiden. Man will ja nicht dauernd einen Flaschenhals haben. Zum anderen verhindern wir damit auch Konzentration von zu viel Macht; es gibt nicht mehr eine Organisation die alle Dokumente bekommt.
OpenLeaks ist also dann eine Art Durchlauferhitzer?
Mehr so etwas wie eine digitale Babyklappe. Niemand wird erfahren wer die Dokumente abgelegt hat, aber wir stellen sicher, dass sie in die richtigen Hände kommen. Wenn Sie heute etwa von einem Umweltskandal wissen, dann können Sie dafür sorgen, dass das an Greenpeace weitergegeben wird.
Das könnte man auch gleich direkt tun.
Einige wenige Quellen arbeiten seit Jahren intensiv mit Medien zusammen. Es gibt aber auch viele Menschen, die gar nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Welcher Redakteur ist integer? Wer hat ein Interesse, das zu verfolgen? Wie ist eine Zeitung aufgestellt? Die Leute wissen nicht, ob man sie schützen kann. Dieser Schutz ist genau das, was wir bieten können.
Gibt es irgendetwas aus Ihrer Zeit bei WikiLeaks, was Sie bereuen?
Nein. Außer vielleicht, nicht früher erkannt zu haben, wohin das Ganze steuert. Aber das ist eine Lektion, die wir gelernt haben.
Zur Person
Daniel Domscheit-Berg war unter dem Pseudonym Daniel Schmitt bis September 2010 das zweite „Gesicht“ der Enthüllungsplattform WikiLeaks. Soeben ist im Econ Verlag sein Buch „Inside WikiLeaks – Meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt“, erschienen, das unter Assistenz der Journalistin Tina Klopp entstand ist (304 Seiten, 18 Euro). Sehr persönlich schildert der Deutsche darin seine Reibereien mit WikiLeaks-Gründer Julian Assange, den er als „genial“ und „freigeistig“ schätzt – und als „paranoid“ und „machtversessen“ kritisiert.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2011)