Berlinale: Ein Triumph für das iranische Kino

Triumph fuer iranische Kino
Triumph fuer iranische Kino(c) AP (Kai-Uwe Knoth)
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Die Berlinale 2011 endete mit einem Triumph für das iranische Kino. Das vielschichtige und bewegende Drama "Nader und Simin, eine Trennung" des iranischen Regisseurs Asghar Farhadis gewann den Goldenen Bären.

So beginnt die Berlinale 2011: Jurypräsidentin Isabella Rossellini steht vor hunderten geladenen Gästen und verliest einen Brief des im vergangenen Dezember zu sechs Jahren Haft und zwanzig Jahren Dreh- und Regieverbots verurteilten iranischen Regisseurs Jafar Panahi. Eigentlich hätte er in Berlin sein und als Jurymitglied über die Vergabe der Bären entscheiden sollen. Jetzt schreibt er: „Ich wurde zu Stillschweigen verdammt. Aber in meinen Träumen schreie ich nach einer Zeit, in der wir uns gegenseitig tolerieren und unsere jeweiligen Meinungen respektieren, in der wir füreinander leben können.“

So endet die Berlinale 2011: Mit einem Triumph für das iranische Kino. Asghar Farhadis vielschichtiges, bewegendes Drama „Nader und Simin, eine Trennung“ erhält den Goldenen Bären, die weiblichen und männlichen Schauspielerensembles darin erhalten jeweils einen Silbernen Bären. Jetzt eine Linie zu ziehen von den notwendigen Solidaritätsbekundungen eines internationalen Festivals, das Panahis leeren Jurystuhl in den vergangenen Tagen wie ein Mahnmal inszeniert hat, zur Auszeichnung seines Landsmanns ist so unvermeidlich wie ignorant. Denn in einem Wettbewerb der Fadesse und ästhetischen Gemeinplätze musste Farhadis handwerklich wie erzählerisch souveräner Film auffallen, musste fast ausgezeichnet werden. Aber es steckt noch mehr in dieser Geschichte vom progressiven Mittelklassepaar Nader und Simin, das sich trennt, weil sie das Land verlassen will, er aber für seinen alzheimerkranken Vater zu sorgen hat. Nämlich Weitsicht, Intelligenz und Menschlichkeit: Nach und nach entwirft Farhadi, für den Zuschauer beinahe unmerklich, einen Fächer verschiedenster Befindlichkeiten innerhalb des Landes. So etwa wenn Nader eine gottesfürchtige Pflegerin für seinen Vater anstellt, die dann schon mal einen spirituellen Beistand anruft, um zu erfahren, ob es denn jetzt eine Sünde sei, wenn sie dem alten Mann die Windeln wechsle.

Der Iran als mehrstimmiges Land

Polemiken aber, die sind Farhadi fremd: Den Iran stellt er trotz des seit 32Jahren anhaltenden Mullah-Regimes als mehrstimmiges Land dar, in dem sich Alt und Neu, die Progressiven und die Reaktionären, Tradition und Moderne grimmiger gegenüberstehen als anderswo. Es geht diesem Regisseur um die Zwischentöne, um das Aufbrechen einfacher Zuschreibungsmodelle. Und das ist dann auch das große Verdienst seines Films: In einer Weltstimmung, die immer die Parole sucht, für den Widerspruch zu filmen, das ist nicht nur mutig, sondern auch notwendig. Und während sich in den Teheraner Straßen dieser Tage erneut die Protestbewegungen gegen das Regime formieren, wurde „Nader und Simin“ bereits vergangenen Mittwoch auf dem vom iranischen Kulturministerium übersehenen Fajr-Filmfestival mit drei Preisen ausgezeichnet. Das Politische findet auch der deutsche Regisseur Ulrich Köhler im Persönlichen: Sein meditatives Drama „Schlafkrankheit“ kreist um westliche Mediziner in Afrika, um neue und alte Abhängigkeiten, um die Wahrheiten und Wunder, die zwischen dem Primitiven und dem Aufgeklärten schlummern. Etwas zu thesenhaft und nüchtern entwickelt sich diese Geschichte – Köhler wird dennoch mit dem Regiepreis des Festivals ausgezeichnet.

Das Kino als von allen Wirklichkeiten, politischen und anderen, abgesetzten Kosmos zelebriert der ungarische Eigenbrötler Béla Tarr seit vielen Jahren: „Das Turiner Pferd“, eine zweieinhalbstündige in Schwarz-Weiß-Bildern formulierte, beinah dialoglose Bauernodyssee, lässt den Zuschauer darben wie die beiden Hauptfiguren darin. Erst bevor man zerfällt, stellt sich die Transzendenz ein; möglicherweise. Tarr, der sagt, dass dieses Pferd sein letzter Film sei, erhält dafür den „Großen Preis der Jury“. Kurz blickt er bei der Preisverleihung ins Publikum, verlässt die Bühne ohne Dankesrede. Man weiß: Dieser Mann hat die Revolution bereits hinter sich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2011)

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