Wenn der Boss rülpst

Alles Viecher – oder was? Über Mensch, Tier, die Krone der Schöpfung, das Mittelmaß aller Dinge – und Lukas Becks Bilder aus dem Tiergarten Schönbrunn: „Leben im Zoo“.

Was unterscheidet Mensch von Tier? Gute Frage. Nur mit der Antwort ist's so eine Sache. Rein materiell nämlich ist da aufs Erste so gut wie gar nichts auszumachen. Und 150 Jahre nach Darwins Evolutionstheorie sind es auch nur mehr die allerletzten Rindviecher, die unsereinen streng physiologisch für die Krone der Schöpfung halten. Das große Gehirn? Das haben andere auch. Der aufrechte Gang, den noch ein Herder ernst bemühte? Der beschert uns unstreitig besseren Überblick, als es unserer Größe angemessen wäre, und freien Gebrauch der Vorderbeine, aber zugleich Bandscheibenschäden und Krampfadern, ein zweifelhaftes Zeichen von Vorzüglichkeit. Und wer schon einmal, um im Reich der Säugetiere zu bleiben, unsere Extremitäten mit jenen eines Pferdes, unser Gebiss mit dem eines Nagetiers, unseren Verdauungstrakt mit dem einer Kuh, unser Auge mit dem eines Wolfs verglichen hat, muss rasch zu dem Schluss kommen, dass, wenn es denn irgendeinen körperlichen Vorteil unsererseits gibt, es der einer universellen Mediokrität ist: nichts wirklich gut können, aber alles (außer fliegen) irgendwie. Der Mensch nicht als Maß, nein, als Mittelmaß aller Dinge.

Bleibt das weite Reich des Immateriellen, das stets dort bemüht wird, wo es an Handfestem fehlt. Also: Gebrauch von Werkzeug. Sprache. Bewusstsein. Lachen. Weinen. Und so weiter und so fort kreuz und quer durch die soft skills. Über all das und vor allem über seine humane Exklusivität lässt sich bücherlang streiten, gewiefte Kenner tierischen Verhaltens führen mühelos werkzeuggebrauchende, auf ihre je eigene Weise sprechende, ihrer selbst bewusste, lachende oder auch weinende Kreaturen an. Die Seele? Nicht einmal die dürfen wir, glauben wir Wetti-Tant, Schani-Onkel und all den anderen zoologischen Experten unserer Nachbar- und Verwandtschaft, als singulär für uns verbuchen, wo doch der Flocki gar so innig schaut. Und warum denn auch nicht, was um alles in der Welt sollte uns denn eine womöglich transkosmologische Einzigartigkeit verschaffen?

Vielleicht das, was Lukas Beck mit seinem Bildband „Leben im Zoo“ (Echomedia, Wien) dokumentiert. Textlich assistiert von Renate Pliem, hat der Mittvierziger aus Wien Insassen des Tiergartens Schönbrunn im Doppel porträtiert: also jeweils Tier samt Pfleger oder Pflegerin. Da sieht man Petra Stefan mit dem großen „Boss“ der Giraffenherde, Kimba, der ihr, entspannt, wie er ist, manchmal ins Gesicht rülpst. Da lernt man von Angelika Haselbacher, Betreuerin des Weißstirnamazonenmännchens Emil, dass es mit der großen Freiheit ja auch in der angeblich so freien Natur nicht weit her ist, denn: „In Wirklichkeit hat jedes Tier nur ein gewisses Areal, das es gegen viele Artgenossen verteidigen muss.“ Roland Halbauer berichtet, was ihn an seinen Malaien-Quallen fasziniert, nämlich „die Mischung aus beruhigenden Bewegungen und gefährlicher Schönheit“. Und vom Elefantenpfleger Simon Stöger erfahren wir, dass seine Paradeiser zu Hause dank Versorgung mit Elefantendung besonders groß werden.

Ihnen allen und ihren Schützlingen tritt Lukas Beck buchstäblich nahe, so nah wie irgend möglich, und bleibt doch immer auf Distanz. „Das Porträt ist meine Leidenschaft“, bekennt er in seinem Nachwort. „Die Tiere wollte ich mir eigentlich fürs Alter aufheben, mit stundenlangem Beobachten in wundersamer Natur und der inneren Ruhe, die mir noch lange dafür fehlt. Dann kam mir die Idee dazwischen: das Tier und der Mensch, einander näher als in der Wildnis – die Welt des Zoos.“ In trauter Runde ergänzt er gern, auch der Gedanke, selbst Tierpfleger zu sein, sei ihm durchaus nicht fremd.

Seine Doppelporträts sind Dokumente wechselseitigen Respekts. Begegnungen auf Augenhöhe, jedenfalls metaphorisch – und sogar da, wo es einmal, ein einziges Mal, einem der Begegnenden an Augen mangelt, bei den Malaien-Quallen eben. Bilder, die von einer Achtung erzählen, die genausowenig in Vermenschlichung wie in Abschätzigkeit kippt, sondern uns und unseren Mitbewohnern den einzig gebührenden Platz zuweist – als jeweils einer unter unendlich vielen. Angst habe er nicht, erzählt der Löwenpfleger Andreas Eder, aber: „Ich passe mich auch an die Tiere an. Und meine Schwiegermutter sagt immer, dass ich einen sehr leisen Gang habe – irgendwie schleichend.“

Inez Walter ergänzt: „Wir sagen ja immer, der Mensch sei die Krone der Schöpfung. Ich glaube das nicht. Wenn man sich in der Aquaristik oder in der Terraristik umsieht, findet man unglaubliche Lösungen für Probleme. Auf die würde der Mensch nicht kommen.“ Und wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass Frau Walter selbst eine dieser wundersamen „Lösungen“ betreut: den Nacktmull, ein hochspezialisiertes Nagetier der Halbwüsten Ostafrikas, das vielen Besuchern, so Walter, „hässlich“ erscheint. Freilich: „Ich glaube, dass man an jedem Tier etwas Nettes finden kann.“

Muss, zugegeben, auch nicht sein: Im Weltenganzen, wenn man so will, ist Schönheit wohl ein sehr relativer Wert, und wäre er denn von erheblicherer absoluter Bedeutung, so wären wir als Spezies vermutlich schon seit Längerem aus diesem Weltenganzen expediert. Jeder Blick in den Spiegel sollte uns lehren, wie bedauernswert ein Gott sein müsste, wären wir womöglich wirklich sein Ebenbild.

Braucht uns alles nicht zu grämen: Solange wir wissen, welcher Platz uns zukommt, werden wir, wo wir sind, willkommen sein. Dieser Platz ist gewiss nicht über, sondern als Gleicher unter Gleichen neben allen anderen, und wer wortwörtlich meint, sich die Erde untertan machen zu müssen, wird alsbald selber untertänig sein.

Von all dem erzählt Lukas Beck in seinen Bildern: von Wertschätzung, Anteilnahme, Empathie, die uns und die den anderen gebühren. „Es sind die Blicke, die faszinieren“, schreibt Renate Pliem in ihrer Einleitung, „jene eines Wasserbüffels, einer Löwin oder eines Seepferdchens. In diesen Blicken liegen Respekt und Vertrauen. Sie verbinden Mensch und Tier.“ Sofern da überhaupt etwas ist, was die beiden trennt – vielleicht nicht einmal das Bewusstsein, ihrer tieferen Bestimmung nach gleichberechtigt zu sein. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2011)

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