Die Strahlung, die uns umgibt

Strahlung umgibt
Strahlung umgibt(c) REUTERS (JEAN-PAUL PELISSIER)
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Hintergrundstrahlung, Strahlenkater, Röntgen: Wie gefährlich sind Strahlen wirklich? Eine gewisse Dosis vermindert sogar Krebsvorstufen. Langzeitfolgen von Strahlenbelastung sind aber schwer abschätzbar.

Das Problem an der Forschung von Langzeitfolgen nach Strahlenbelastung ist, dass sich im Nachhinein schwer nachweisen lässt, welche Ursachen diesen oder jenen Krebs ausgelöst haben. „Der Krebs, den man kriegt, hat ja kein Mascherl um, auf dem steht: ,Ich komm von Strahlenschäden‘“, sagt Andreas Musilek vom Atominstitut der TU Wien. Als Strahlenschutzbeauftragter muss er darauf achten, dass weder Mitarbeiter noch die Umwelt zu hohe Strahlung abbekommen. Im Wiener Prater steht der einzige Atomreaktor Österreichs, er dient Forschungs- und Lehrzwecken – mit geringer Leistung, die in etwa der eines Mittelklassewagens entspricht. „Unsere Mitarbeiter bekommen nicht mehr Strahlung ab, als es der natürlichen Hintergrundstrahlung entspricht“, versichert Musilek. Für „beruflich strahlenexponierte Personen“ gilt, dass die zusätzlich zur Hintergrundstrahlung erreichte Dosis nicht über sechs (Kategorie B) bzw. 20 (Kategorie A) Millisievert pro Jahr liegen darf. „Diesen Wert erreichen wir nie“, so Musilek. Für die „normale“ Bevölkerung gilt, dass man pro Jahr nicht mehr als einem Millisievert (mSv) an Strahlung zusätzlich zur Hintergrundstrahlung ausgesetzt werden sollte, z.B. wenn man sein Kind zur Röntgenuntersuchung begleitet. Die eigene medizinische Untersuchung ist von dem Strahlenschutzwert ausgenommen, sonst dürfte man sich ja keiner CT-Untersuchung unterziehen (sechs bis zehn mSv).

Die natürliche Hintergrundstrahlung setzt sich aus kosmischer und terrestrischer Strahlung zusammen. Erstere wird vom Erdmagnetfeld abgelenkt, sodass an den Polen besonders viel Strahlung herrscht: Daher bekommen Flugzeuge auf einer Route in Polnähe eine höhere Dosis ab, als wenn sie in Äquatornähe fliegen. Im Boden kommt als natürliches Element z. B. Uran vor. „Die Isotope sind seit der Erdentstehung da, Uran-238 hat eine Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren“, erklärt Musilek. Es zerfällt in verschiedene Elemente, u. a. auch in das radioaktive Edelgas Radon-222, das der Mensch einatmen kann. Radon steigt aus alten Gesteinen auf und kann sich in abgeschlossenen Kellerräumen ansammeln. Gerade durch Granitböden wie im Waldviertel diffundiert vermehrt Radon, sodass unbelüftete Kellergemäuer im Waldviertel eine höhere Radonbelastung aufweisen als in Wien.

„Das Edelgas macht dem Menschen nichts, das wird wieder ausgeatmet. Aber wenn Radon gerade dann zerfällt, wenn es in der Lunge ist, bilden sich weitere radioaktive Materialien wie Polonium, also Isotope, die entsprechende Strahlenbelastung für den Körper abgeben“, so Musilek. Insgesamt summiert sich die Hintergrundstrahlung aus all diesen Prozessen auf etwa zwei Millisievert pro Jahr. Übrigens: Die Dosisleistung wird stets pro Zeiteinheit angegeben, z.B. Millisievert/Jahr oder Mikrosievert/Stunde, während die konkrete Dosis, wie viel man abbekommen hat, in Sievert angegeben wird.

Auf die Frage, was über die Folgen von Strahlenbelastung als gesichertes Wissen gilt, berichtet Musilek über Schäden, die durch hohe Strahlendosen verursacht werden: „Ab etwa 250 mSv kann man im Blut nachweisen, dass man Strahlung abbekommen hat. Bei einem Sievert kriegt man den berühmten ,Strahlenkater‘, bei dem man sich fürchterlich übergeben muss, und die tödliche Dosis ist bei sieben Sievert – ohne medizinische Hilfe – erreicht.“ Was jedoch im unteren Strahlenbereich passiert, darüber gibt es reichlich Diskussion: „Im oberen Dosisbereich ist klar: Je mehr Strahlung, umso ärger die Auswirkung. Im niedrigeren Bereich kann man nur annehmen, wie sich die Wahrscheinlichkeit ändert, Krebs zu bekommen.“ Denn da spielen zu viele Umwelteinflüsse mit, um epidemiologische Daten zur Krebshäufigkeit auf geringe Strahlenbelastung zurückzuführen: „Man kriegt nicht bei einer Belastung von einem Mikrosievert im Vergleich zu 0,1 Mikrosievert einen zehnmal so starken Krebs“, so Musilek.

Daher gibt es seit etwa 20 Jahren Forschungen, die gezielt den unteren Dosisbereich untersuchen: „Die kanadischen Kollegen um Ronald Mitchel sind erstmals unter die Dosis von 100 Milligray gegangen und haben Zellkulturen damit bestrahlt, bei kleinen Dosisraten“, erzählt Helmut Schöllnberger, der an der Uni Salzburg zwei FWF-Projekte über „Low-Dose-Radiation“ geleitet hat. Gray heißt die Einheit der sogenannten Energiedosis. Für Gammastrahlen ist sie direkt in Sievert umrechenbar (bei Alpha- und Neutronenstrahlung wird deren höhere biologische Wirksamkeit berücksichtigt).

„Früher wurden in der Strahlenbiologie kaum Experimente unter 100 Milligray durchgeführt, sondern einfach aus der gemessenen Wirkung hoher Dosen auf die Wirkung niedriger Strahlenbelastung geschlossen“, so Schöllnberger. Die Experimente mit Zellen in Laborschälchen haben aber gezeigt, dass bei niedrigen Dosen in kleinen Raten ganz unterschiedliche Prozesse in den Zellen angekurbelt werden. „Faszinierend war, dass die Kanadier zeigten, dass bei etwa einem Milligray pro Minute Bestrahlung die Entstehung von krebsartigen Zellen vermindert wurde.“ Dabei wird die Bildung von „transformierten Zellen“ gemessen, das sind Vorstufen von Krebszellen: Diese können spontan in jedem Zellverband entstehen.

Bis zu diesen Versuchen galt die Annahme, dass umso mehr transformierte Zellen entstehen, je höher die Strahlendosis ist. „Doch das verläuft nicht linear. Denn wenn niedrige Strahlenbelastung an der DNA Schäden anrichtet, werden zelleigene Abwehr- und Reparaturmechanismen gestartet.“ Eine kleine Strahlendosis kurbelt also das hauseigene Reparatursystem der Zelle an, woraufhin nicht nur die Strahlenschäden, sondern auch viele andere DNA-Schäden, die natürlich vorkommen, ausgemerzt werden. „Das sind Hinweise, dass kleine Dosen von Gammastrahlung bei niedrigen Bestrahlungsraten auch beim Menschen einen schützenden Effekt haben können. Dies ist aber noch lange nicht bewiesen“, so Schöllnberger.

Jedenfalls wurde das alte Paradigma des Strahlenschutzes infrage gestellt, das besagt, dass das Risiko der Krebsentstehung durch die Schäden an der DNA bemessen wird. „Das moderne Konzept sagt, dass das Risiko durch die Antworten auf die DNA-Schäden bestimmt wird.“

Schöllnberger untersucht nicht selbst einzelne Zellkulturen, sondern nimmt die Datensätze solcher Versuche (mit menschlichen Zellen oder Mauszellen) und füttert damit mathematische Modelle: „Wir konnten zeigen, dass nach ionisierender Strahlung auch deshalb weniger transformierte Zellen entstehen, weil gesunde Nachbarzellen die transformierten Zellen in ihrer Umgebung veranlassen, programmierten Zelltod auszuführen.“

Die hier einberechnete Strahlung (75 Millisievert) liegt weit über der natürlichen Hintergrundstrahlung, die uns täglich umgibt. So hohe Werte erreicht man auch bei Röntgen- oder CT-Untersuchungen nicht. Über Langzeitfolgen möchte auch Schöllnberger keine Auskunft geben: „Die hier verwendeten Zellkulturen wurden 25 Tage nach der Bestrahlung ausgewertet.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2011)

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