Wie sauer reagiert das Meeresleben auf Säure?

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Die steigenden CO2-Gehalte treffen auch Lebewesen mit Schalen und Skeletten aus Kalk. Das Problem wird in den kommenden Jahren wachsen, denn es kommt immer mehr CO2 in die Luft. Aber nicht alle leiden darunter.

An einem Freitagabend im April 2010 setzte Sam Dupont, Ökophysiologe an einem Institut für Meeresbiologie in Kristineberg, Schweden, Larven von Seeigeln in ein Glas mit hochgradig saurem Wasser. Dann verließ er das Labor, der Abend wurde lang, erst am Sonntag erinnerte sich der Forscher an das Experiment, aber er war sicher, dass die Tiere längst tot seien. So ging er erst am Montag wieder ins Labor: Die Seeigel hatten zwar keine Skelette mehr, schwammen aber herum wie sonst auch.
Das kam unerwartet: Wie viele andere Meeresbewohner sind auch Seeigel „Kalzifizierer“, sie bilden ihre Skelette aus Kalziumkarbonat (CaCO3). Das wird im Wasser immer knapper, und das liegt am CO2, das die Menschen mit ihren Verbrennungsprozessen in die Atmosphäre blasen. In der Luft wirkt es als Treibhausgas, im Wasser löst es sich zu Kohlensäure (formal: H2CO3), die sauer ist, weil sie ein Wasserstoff-Ion abspalten kann, H+. Das steigende CO2 hat den pH-Wert des leicht alkalischen Meerwassers seit Beginn der Industrialisierung von 8,2 auf 8,1 gesenkt, bis zur Jahrhundertmitte werden weitere minus 0,4 erwartet. Meerwasser enthielte dann 150 Prozent mehr H+-Ionen als vor der Industrialisierung. Und die könnten den Kalzifizierern Probleme bringen, weil sie ihnen Baumaterial entziehen: H+-Ionen können sich an Karbonat-Ionen binden (CO32–), und die stehen dann nicht mehr für eine Bindung mit Kalzium zur Verfügung.
Das Problem wird wachsen, es kommt immer mehr CO2 in die Luft – derzeit: 30 Milliarden Tonnen im Jahre –, und ein Drittel davon geht weiter in die Meere. In logischer Konsequenz werden die Kalzifizierer leiden, von den großen Korallen bis zum kleinen Plankton.
Die ersten Blicke bestätigten das, viele Korallen hielten der Doppelbelastung durch Erwärmung und Versäuerung nicht stand, und in Laborversuchen lösten sich bei „Meeresschmetterlingen“ – millimeterkleinen Schnecken – die Häuser innerhalb von 48 Stunden auf, wenn man sie in Wasser der für die Jahrhundertmitte erwarteten Versäuerung setzte (diese Tiere bauen die Häuser aus Aragonit, einer Modifikation von Kalziumkarbonat, die gegen Säure besonders anfällig ist). Zudem gibt es Erfahrungen aus der Erdgeschichte: Vor 55 Millionen Jahren war das Meer ähnlich sauer, wie es zum Jahrhundertende erwartet wird, damals starben viele kalzifizierende Algen aus.

Austern leiden, Hummer prosperieren

Allerdings geht es in der Natur nicht nach schlichter Logik zu, und die Erdgeschichte zeigt auch andere Erfahrungen: Vor 120 Millionen Jahren bliesen Vulkane so viel CO2 in die Atmosphäre, dass die Gehalte doppelt so hoch waren wie heute. Aber die meisten Plankton-Kalzifizierer hielten stand (Science, 329, S. 428). Auch in den Labors wurde das Bild differenzierter: In Wasser mit dem Zehnfachen des heutigen CO2-Gehalts ging es manchen Kalzifizierern schlechter – Austern etwa –, andere aber bekamen kräftigere Panzer, Hummer etwa und Shrimps.
„Einige Arten kommen sehr gut mit extrem niederen pH-Werten zurecht, wenigstens auf kurze Zeit“, berichtet auch Dupont, an dessen Institut breit experimentiert wird (Nature, 471, S. 154). Und es geht nicht nur um Arten, sondern auch um Regionen bzw. Klimazonen: Nordische Seespinnen aus der Nordsee sind empfindlicher gegen die Versäuerung als Nordische Seespinnen aus arktischen Gewässern (und das, obwohl hoch im Norden die Versäuerung stärker ist, weil kaltes Wasser mehr CO2 aufnimmt). Selbst bei gleichen Arten in den gleichen Klimazonen zeigen sich Differenzen: Miesmuscheln in der Nordsee setzten unter Säurebedingungen des Jahres 2100 25 Prozent weniger Schalen an; ihre Verwandten in der Ostsee, die heute schon in größerer Versäuerung leben (pH 7,4), leiden nicht.
Denn sie schützen ihre Kalziumkarbonatschale mit einer zweiten Wand, einer aus Proteinen und Kohlehydraten. „Einige Organismen können die Effekte der Versäuerung überraschend gut kontrollieren“, schließt Frank Melzner (Kiel), der die Muscheln analysiert hat, „aber das braucht natürlich Energie“ (Biogeosciences, 7, S. 3879).

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