Premier Orbán zementiert Macht mit neuer Verfassung

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Die ungarische Opposition lehnt das neue Grundgesetz ab, das die Regierung noch vor Ostern durchbringen will. Über die Frage, ob Ungarn überhaupt eine neue Verfassung braucht, scheiden sich die Geister.

Budapest. Ungarns rechtsnationale Regierung ist im Verfassungsfieber: Noch vor Ostern wollen die Regierungsparteien ein neues Grundgesetz im Parlament verabschieden, das zum 1.Jänner 2012 in Kraft treten wird. Angesichts ihrer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit können sie dies ohne Weiteres tun.

Über die Frage, ob Ungarn überhaupt eine neue Verfassung braucht, scheiden sich die Geister. Während die Regierung das noch bestehende Grundgesetz wegen seines kommunistischen Stallgeruchs ablehnt, sehen die linken Oppositionsparteien keinen Bedarf an einer neuen Verfassung. Wiederholt hat Premier Viktor Orbán darauf hingewiesen, dass die bestehende Verfassung auf das Jahr 1949 zurückdatiere und also ein „stalinistisches Überbleibsel“ sei. Obwohl sie nach der Wende 1989 generalüberholt wurde, hat sie in den Augen der Regierung nach 20Jahren vollends ausgedient.

Der Parlamentsdebatte über den Verfassungsentwurf blieben zwei Oppositionsparteien aus Protest fern, die Sozialisten (MSZP) und die Ökopartei LMP. Sie finden, dass sie nicht in die vorbereitende Arbeit, die seit Mitte 2010 läuft, eingebunden wurden. Alle Gremien und Arbeitsgruppen, die den Entwurf vorbereiteten, haben nämlich eines gemeinsam: Sie sind Orbán-Loyale. Nur die rechtsradikale Jobbik nahm an der Diskussion teil, lehnt den Entwurf aber ab.

Fragebögen an Wahlberechtigte

Kritik der Sozialisten an der mangelnden Legitimität der neuen Verfassung wischt Orbán vom Tisch: Ihre parlamentarische Zweidrittelmehrheit berechtige die Regierungsparteien zur Verabschiedung der Verfassung. Außerdem sei die geforderte Abstimmung per Referendum für eine Verfassung viel zu komplex, lautet Orbáns Argument.

Dennoch will die Regierung die Ungarn vom verfassungsgebenden Prozess nicht völlig ausschließen: Sie hat einen Fragebogen mit insgesamt zwölf Fragen an die rund acht Millionen ungarischen Wahlberechtigten verschickt. Mehr als 900.000 Ungarn haben die Fragen auch beantwortet, was Premier Orbán als „Erfolg“ bezeichnete. Die Opposition bezweifelt, dass der Inhalt der Fragebögen in die neue Verfassung einfließen wird und spricht von einem „Bluff“. Außerdem erinnert sie daran, dass Orbán im Wahlkampf 2010 kein Wort darüber verloren habe, eine neue Verfassung schaffen zu wollen. Folglich habe Orbán von den Wählern dazu auch keinen Auftrag bekommen.

Schwülstiges Glaubensbekenntnis

Der frühere Justizminister Péter Bárándy findet es bedenklich, dass ein Teil der Opposition dem verfassungsgebenden Prozess ferngeblieben ist. Laut Bárándy wird das neue Grundgesetz unweigerlich als „Fidesz-Verfassung“ in die Rechtsgeschichte eingehen. Künftige linke Regierungen könnten bei der erstbesten Gelegenheit versuchen, das unliebsame Grundgesetz abzuschütteln. Wohl auch deshalb, weil es mit selektiver Geschichtswahrnehmung und religiösen Bezügen überladen ist.

Viele Kritiker sehen in der neuen Verfassung auch ein Instrument der Regierung, ihre Macht zu zementieren. Der Verfassungsrechtler Gábor Attila Tóth meint, dass das neue Grundgesetz „innerhalb des formalen Rahmens eines Mehrparteiensystems eine Einparteienherrschaft institutionalisieren will“. Sauer stößt vielen auch der schwülstige Ton der neuen Präambel auf, die nunmehr „Nationales Glaubensbekenntnis“ heißen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2011)

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