Wiener Lesetest: „Eine echte Leseratte bin ich nicht“

(c) Clemens Fabry
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Beim ersten „Wiener Lesetest“ stellen sich nach dem PISA-Debakel 32.500 Volks-, Haupt- und AHS-Schüler einer schriftlichen Prüfung. „Die Presse“ war beim Auftakt dabei.

Wien. „Ich lese gern. Aber eine echte Leseratte, die zu Hause viel liest, bin ich nicht.“ Die zehnjährige Emma I., Schülerin der 4B an der Volksschule Kindermanngasse in Wien Hernals, mag es lieber, wenn in der Schule gelesen wird: jeden Tag mindestens 15 Minuten, so hat es ihre Lehrerin Caroline Drechsler vorgesehen. Jeden Freitag in der letzten Stunde gibt es dann Vorlesezeit: Da liest Drechsler selbst aus einem Buch vor – zurzeit aus Christine Nöstlingers „Der Denker greift ein“. In der Lesezeit sind die Schüler hingegen selbst gefordert: Jeder kommt einmal dran. Beim „Lautlesen“ stolpere sie noch manchmal über die Buchstaben, sagt Emma. „Aber leise geht es richtig gut.“

Das Leiselesen war auch am Dienstag gefragt: Da stellten sich in der Früh alle 15.500 Volksschüler der vierten Klasse dem ersten „Wiener Lesetest“. Heute, Mittwoch, sind die 17.000 Haupt- und AHS-Schüler der achten Schulstufe dran. Der „Lesetest“ ist eine Konsequenz aus dem Lesedebakel beim jüngsten PISA-Test des Jahres 2009: Jeder dritte 15-Jährige kann hierzulande nicht sinnerfassend lesen.

Startschuss für „Soko Lesen“

Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl will mit dem „Lesetest“ nun ein Wien-Ergebnis ermitteln. „Ich will wissen: Sind es bei uns 200 oder 2000 Volksschüler, die vor dem Schulwechsel nicht gut genug lesen können? Und dann soll jeder, der Schwächen hat, gefördert werden.“ Nach dem „Lesetest“, dessen Ergebnisse am 17. Juni den Schülern, ihren Eltern und ihren Lehrern vorliegen werden, greift für Betroffene die „Soko Lesen“ des Stadtschulrats ein: Mit Förderprogrammen sollen sie auch im folgenden Schuljahr, also in der fünften bzw. neunten Schulstufe, von Lehrern betreut werden, damit sie zu den besseren Schülern aufschließen können. Aufs Zeugnis wirkt sich der „Lesetest“ nicht aus.

„Das Beispiel mit dem Mond war schwer“, sagen am Dienstag gleich mehrere Schüler der 4B: Haris H., zehn Jahre alt, der den Test sonst „eh ganz leicht“ gefunden hat; Elias J., neun Jahre alt, der „manche Aufgaben nicht fertig bekommen“ hat; oder Aleks M., zehn Jahre alt: „Am leichtesten waren die Fragen mit den Bildern.“

24 Seiten umfasst der „Lesetest“-Bogen, der an Volksschulen in 33 Minuten und an Hauptschulen oder Gymnasien in 43 Minuten zu absolvieren ist. Das teils (zu) hohe Tempo ist Absicht. An Volksschulen abgetestet werden mit Dutzenden Fragen die richtigen Begriffe zu Bildern (etwa „Fahrrad“), die richtigen Wörter zu unvollständigen Sätzen, das Verständnis kurzer sowie das Verständnis längerer Texten.

Wie ist das mit den Sonnenflecken, so lautet zum Beispiel die Nachfrage zu einer Geschichte über „Die Sonne“ (und den Mond), mit der auch Hochbegabte ausgeforscht werden sollen. Bereitgestellt hat die Aufgaben das Bundesinstitut für Bildungsforschung (BIFIE), das auch den PISA-Test in Österreich abwickelt. Erstellt und bereits erprobt wurden die Fragen des ersten Wiener Tests aber in anderen Ländern wie Deutschland. Die Kosten des „Lesetests“ für den Stadtschulrat: 100.000 Euro. Brandsteidl kann sich vorstellen, den Test ab sofort jährlich abzuhalten. Auch die „Soko“ soll längerfristig arbeiten.

An der Volksschule Kindermanngasse fürchtet man die Testergebnisse nicht – obwohl 45 Prozent der Schüler nicht deutscher Muttersprache sind. So wie Haris, der mit seinen Eltern fast nur Bosnisch spricht, aber in Deutsch (und allen anderen Fächern) trotzdem spitze ist. „Wir setzen seit vielen Jahren auf individuelle Leseförderung ab der ersten Klasse“, sagt Direktorin Ursula Cermak. So gebe es auch Leseprojekte wie das „Leseatelier“, bei dem sich Schüler einzelnen Literaturgattungen widmen – etwa dem Krimi. „Mit dem Test suchen wir nach unseren besten Ansätzen“, so Cermak.

Oberstes Ziel: Das Gymnasium

„Deutsch ist mein Lieblingsfach“, sagen viele der 21 Schülerinnen und Schüler der 4B. Bücher wie der „Denker“ stehen auch privat hoch im Kurs. Der Weg in die AHS ist bereits für 18 der Schüler geebnet: Die Lehrerin – und meist auch das Elternhaus – hat das gefördert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2011)

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