Mieten fernab der wirtschaftlichen Realität

Mieten fernab wirtschaftlichen Realitaet
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Zinsbeschränkungen: Eine Reform des Mietrechts ist notwendig. Sie könnte auch die Erhaltungspflicht umfassen.

Wien. Eine Studie der AK Wien hat ergeben, dass Vermieter von Altbauwohnungen in Wien das Richtwertsystem weitgehend ignorierten und sich dadurch die Mieten dem Mietzinsniveau auf dem freien Markt näherten. Die unklare Gesetzeslage und widersprüchliche Judikatur führe in der Praxis zur Missachtung des Richtwertsystems. Die AK Wien fordert daher eine Verschärfung des Mietrechts.

Diese Forderung wird von den Vermietern als sachlich nicht gerechtfertigt abgelehnt: Viele Mietrechtsspezialisten und Praktiker finden, dass im Mietrecht das Pendel zu weit zulasten der Vermieter ausgeschlagen hat und eine Reform notwendig ist, die auch das Thema Mietzinsbildung umfasst.

Im Mietrecht gibt es eine Zweiklassengesellschaft: jene Mieter, die den Mietzins überprüfen lassen können (was auch die allfällige gerichtliche Herabsetzung und die Rückforderung der Überzahlung zur Folge haben kann), und jene, bei denen dies nicht möglich ist. Vereinfacht dargestellt ist der Vermieter bei der Vermietung eines „Neubaus“ (Eigentumswohnungen, die nach dem 8.Mai 1945, sowie ungeförderte Zinshäuser, die nach dem 30.Juni 1953 errichtet wurden), also von mittlerweile über 60 Jahre alten Wohnungen, in der Mietzinsbildung frei: Es gibt einen marktkonformen Mietzins und keine Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung. Die Vermietung von Altbauwohnungen (vor dem 2. Weltkrieg errichtet) unterliegt den Mietzinsbeschränkungen des Mietrechtsgesetzes: Kleinere und mittlere Altbauwohnungen (Nutzfläche bis 130m2) dürfen nur zum Richtwertmietzins vermietet werden.

Steigende Grund- und Baukosten

Für normale Altbauwohnungen erfolgt die Mietzinsbegrenzung somit durch das seit 17 Jahren geltende Richtwertsystem. Bei der Festlegung (und Überprüfung) der Höhe der Miete ist vom Richtwert, der durch Verordnung für jedes Bundesland festgesetzt wurde, auszugehen. In Wien gilt aktuell ein Richtwert von 4,91 Euro pro Quadratmeter, das ist (nach dem Burgenland) der zweitniedrigste Richtwert Österreichs. Eine Schwäche des Richtwertsystems liegt bereits darin, dass die erstmalige Ermittlung der Richtwerte auf Grundlage der im Jahr 1992 – also vor beinahe 20 Jahren – bundesländerweise unterschiedlichen Bau- und Grundkosten erfolgte. Zwar ist der damals ermittelte Richtwert gesetzlich mit dem Verbraucherpreisindex wertgesichert und wird daher laufend (seit 2008 übrigens nur mehr alle zwei Jahre) angepasst, doch haben sich gerade in Wien seit Inkrafttreten des Richtwertsystems die Grund- und Baukosten wesentlich dynamischer entwickelt als die Verbraucherpreise. Indem die Richtwerte nicht an die aktuellen Baupreise und Grundkosten angepasst werden, werden sie zum Nachteil der Vermieter niedrig gehalten.

Hinzukommt, dass bei der Ermittlung des für eine Wohnung zulässigen Mietzinses der Richtwert nur den Ausgangspunkt bildet, der konkrete Hauptmietzins sich erst durch Berücksichtigung allfälliger Zu- und Abschläge errechnet. Was dabei werterhöhend und wertmindernd wirkt, ist auch mangels klarer Definition im Gesetz zweifelhaft. Ob der tatsächlich vereinbarte Mietzins daher korrekt berechnet wurde, kann bei Vertragsabschluss – eine bindende behördliche Vorwegbestimmung ist bei Wohnungen nicht vorgesehen – weder vom Mieter noch vom Vermieter mit Gewissheit beurteilt werden. Die Klärung kann nur im Nachhinein durch die Schlichtungsstelle/das Gericht erfolgen. Aber auch die Rechtsprechung ist unklar: Die Studie verweist auf einen Fall, in dem drei verschiedene Gerichte/Instanzen zu drei Hauptmietzinsen mit mehr als 20% Unterschied kamen.

Zum Richtwertsystem gehört auch der Lagezuschlag, der es dem Vermieter ermöglicht, für bestimmte Umstände der Wohnumgebung einen Zuschlag zu verrechnen. Auch hier stößt der Vermieter auf Hürden: Es genügt nicht, dass die Wohnung in einer guten Umgebung liegt; der Zuschlag darf nur dann verlangt werden, wenn die maßgeblichen Umstände im Mietvertrag schriftlich festgehalten wurden. Vergisst der Vermieter darauf, verliert er den Anspruch auf den Zuschlag. Darüber hinaus ist der Lagezuschlag der Höhe nach begrenzt. Schließlich darf bei Gründerzeithäusern (sie sind gerade in Wien zahlreich) gar kein Lagezuschlag verrechnet werden – auch nicht in begehrten Wohngegenden. Der Vorschlag der AK Wien, den Lagezuschlag ganz zu streichen, weil dieser praktisch ausschließlich mit Investitionen der öffentlichen Hand (etwa in öffentliche Verkehrsmittel) begründet würde, ist abzulehnen. Die Höhe des Lagezuschlags bestimmt sich nach den Grundkosten, die eben in guten Wohngegenden höher sind.

Abschlag für Befristungen

Verbleibt noch der Befristungsabschlag bei allen Altbauwohnungen: Das Mietrecht schreibt bei befristeter Vermietung einen 25-%-Abschlag vom zulässigen Richtwertmietzins vor. Dieser würde nach der AK-Studie von einem großen Teil der Vermieter nicht formell im Mietvertrag ausgewiesen, um die Rechtswidrigkeit des vereinbarten Mietzinses zu verschleiern. Die Pönalisierung von Befristungen ist jedoch nicht gerechtfertigt, erfolgen diese doch in der Regel aus zwei Gründen: einerseits vor dem rechtlichen Hintergrund, dass man als Vermieter die Wohnung bei unbefristeter Vermietung „schwer zurückbekommt“ – die Eigenbedarfskündigung (falls man die vermietete Wohnung für sich oder seine Kinder benötigt) unterliegt noch immer einem strengen Maßstab. Andererseits ist der wirtschaftliche Hintergrund zu beachten, dass Mietverhältnisse oft über Jahrzehnte und Generationen bestehen, im Mietrecht aber stets der ursprünglich vereinbarte (wenn auch wertgesicherte) Mietzins maßgebend und daher eine Anpassung an geänderte Marktverhältnisse unmöglich ist. Auch das macht offenkundig, dass die Befristung durch den Vermieter häufig aus einer Art Notstand heraus erfolgt, der eine Pönalisierung nicht rechtfertigt. Den Autoren der Studie ist darin beizupflichten, dass die aktuelle Rechtslage und geübte Praxis unbefriedigend sind. Bei grundsätzlicher Anerkennung des sozialpolitischen Interesses an einem wirksamen Mieterschutz hat aber auch die Politik den ungeförderten Mietmarkt als Wirtschaftszweig anzuerkennen, der betriebswirtschaftlichen Erfordernissen entsprechen muss und sich an Marktverhältnisse orientieren darf. Sinnvolle Investitionen (etwa thermische Sanierungen) sind in Altbauten derzeit häufig unrentabel. Würde die Mietzinsbildung stärker der wirtschaftlichen Realität entsprechen, könnte auch das leidige Thema der Erhaltungspflichten (Wer zahlt für eine kaputte Therme?) miterledigt werden. Die Erhaltung könnte dem Vermieter auferlegt werden, würde man ihm einen marktkonformen Mietzins zugestehen.

Mag. Rechberger ist selbstständiger Rechtsanwalt in Wien
kanzlei@rechberger-anwalt.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2011)

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