Ungarn: Orbán peitscht umstrittene Verfassung durch

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In- und ausländische Kritiker geißeln den christlich-nationalistischen Grundton des Grundgesetzes und fürchten um eine Aufweichung der Gewaltenteilung. Die neue Verfassung wird im kommenden Jahr in Kraft treten.

Belgrad/Budapest. Die Ungarn müssen künftig auf Gott, die Krone – und den Nationalstolz schwören. Mit 262 von 386 Stimmen stimmte das Parlament am Montag mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit für die umstrittene neue Verfassung. Für den von der rechtspopulistischen Fidesz-Partei in nur wenigen Wochen durch das Parlament gepeitschten Verfassungsentwurf stimmten alle Abgeordneten der Regierungsfraktion.

Die Abgeordneten der oppositionellen Sozialisten und Grünen blieben der Abstimmung aus Protest gegen den ihrer Meinung nach verfassungswidrigen Verfassungscoup fern. Die 44 Abgeordneten der rechtsextremen Jobbik-Partei stimmten gegen den Entwurf, weil ihre Änderungswünsche keine Berücksichtigung gefunden hatten.

Die neue Verfassung tritt im kommenden Jahr in Kraft. Sie ersetzt die bisherige von 1949, die nach der demokratischen Wende von 1989 allerdings gründlich überarbeitet worden ist. Nach Ostern soll die vom nationalen Pathos geprägte Präambel der Verfassung als „nationales Bekenntnis“ auf Anweisung von Premier Viktor Orbán in allen Amtsstuben des Landes aushängen.

Ohne Volksbefragung

In- und ausländische Kritiker bemängeln nicht nur deren christlich-nationalistischen Grundton, der Ungarn anderer Überzeugung und Religion ausgrenze. Verfassungsrechtler beklagen vor allem die Beschneidung der Kompetenzen des Verfassungsgerichts und die Aufweichung der Gewaltenteilung. Die Opposition wirft der Regierung vor, dem Land mit der Verfassung ihr Weltbild aufzwingen und ihre Macht auf Jahre zementieren zu wollen.

Vor der Abstimmung hat UN-Generalsekretär Ban Ki-moon Budapest aufgefordert, sich von internationalen Institutionen beraten zu lassen. Es gebe internationale Besorgnis über die Verfassung: Wenn Gesetze erlassen würden, sei es die Verpflichtung der Regierung sicherzustellen, dass diese mit allen relevanten internationalen Vereinbarungen im Einklang seien. Laut einer Umfrage des Instituts Median hätten sich 60Prozent aller Ungarn eine Volksbefragung über die neue Verfassung gewünscht. Der regierenden Fidesz-Partei zufolge hat die Volksbefragung jedoch schon vor einem Jahr stattgefunden – mit der von ihr gewonnenen Parlamentswahl.

Der in der Verfassung betonte Schutz ungeborenen Lebens lässt Frauen-Aktivisten eine Verschärfung der Schwangerschaftsabbruchpraxis fürchten. Zudem beruft sich die Verfassung auf „die die Nation erhaltende Rolle des Christentums“.

Zentral ist auch der Einsatz für die Rechte der Ungarn im Ausland. Die Minderheiten in Ungarn, zehn Prozent der Bevölkerung, fürchten indes Einschnitte in ihre Rechte und klagen über die Abschaffung des nationalen Ombudsmanns.

Der Vorwurf, die Verfassung an der Öffentlichkeit vorbei realisiert zu haben, ficht Orbán nicht an: Schließlich hätten mehrere hunderttausend Bürger die Möglichkeit genutzt, bei einer Fragebogenaktion ihre Meinung zu äußern. Tatsächlich wurde danach das Vorhaben, dass Mütter auch Zweitstimmen für Kinder abgeben können, wieder fallengelassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2011)

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