Das teuflische Teilchen

Der neue Hype um das – angeblich endlich gefundene – Higgs-Teilchen könnte dem Ruf der Physik schaden.

Jetzt habe man es (bald), das „Gottesteilchen“: So tönt es seit vielen Jahren aus den PR-Organen der Teilchenphysik. Sie lieben dieses Wort, das der US-Physiker Leo Lederman vor 18 Jahren geprägt hat: Erst sprach er vom Higgs-Teilchen als „goddam particle“, dann vom „god particle“. Der alte Schalk meinte das ironisch – aber wen kümmert das, es klingt halt so bedeutsam. Und es tut seine Dienste, wenn man den Menschen weismachen will: Nur mehr ein Weilchen, nur mehr einen teuren Teilchenbeschleuniger, dann hat die Physik alle Geheimnisse der Teilchen und Felder, ja der Welt gelöst, „dann kennen wir Gottes Plan“, wie Stephen Hawking großmundig sagte.

Um im pseudotheologischen Slang zu bleiben: Das Higgs-Teilchen könnte sich als Teufelsteilchen erweisen. Denn die Art, wie immer wieder – mit unterschiedlicher Intensität – herausposaunt wird, dass es endlich gefunden sein könnte, schadet dem Ruf der Teilchenphysik. Dass nicht ausreichend geprüfte Ergebnisse an die Öffentlichkeit dringen, ist schlechter wissenschaftlicher Stil. Daran ist vor allem eines schuld: Das penible Peer-review-System (die Prüfung durch Kollegen vor Publikation), das das verhindern soll und in anderen Disziplinen wie der Biochemie meist erfolgreich verhindert, wurde durch „Preprints“ und Verlautbarungen vor Publikation allmählich aufgeweicht. So kann nicht nur der Laie nicht mehr sicher sein, welche Arbeit er wie ernst nehmen darf, auch die „Community“ selbst ist ständig verunsichert.

Dazu kommt die marktschreierische Öffentlichkeitsarbeit von Großinstitutionen wie dem CERN, die physikalische Theorien simpler und eindeutiger darstellt, als sie sind. Die uns etwa einreden will, dass das Konzept vom Teilchen, das allen anderen ihre Masse verleiht, perfekt in sich geschlossen sei. Dass es nur mehr darum gehe, es zu finden. Wahr ist vielmehr: Sollte das Higgs-Teilchen wirklich gefunden werden, fangen die Interpretationsprobleme erst an.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2011)

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