„Anwalt“ und Richter in einer Person vereint

Reformdebatte. Die Richterschaft ist sich uneins, wenn es um die Zukunft des Amtstags geht. Bemängelt wird, dass die Beratungstätigkeit unvereinbar mit der Unabhängigkeit sei. Die Lösung könnte ein neues Modell bieten.

Wien/Aich. 1895 wurde der Amtstag eingeführt, um Bürgern den Zugang zur Justiz zu erleichtern. Doch heute werden von Kritikern vor allem zwei Argumente gegen den Amtstag angeführt: Erstens sei es unvereinbar, dass Richter als eine Art Ersatzanwalt Menschen beraten, über deren Schicksal sie vielleicht im Laufe des Verfahrens entscheiden müssen. Und zweitens gebe es eine Einrichtung wie den Amtstag in anderen Ländern gar nicht.

Wie sehen die Richter den Amtstag? „Durchaus geteilt“, erklärt Richterpräsident Werner Zinkl im Gespräch mit der „Presse“. Die Linzer Richterin Andrea Ertl macht aus ihren Bedenken kein Hehl: „Im Ausland wird unser System von standes- bis verfassungswidrig angesehen“, schrieb sie in einem Aufsatz für die „Richterzeitung“. Doch es gibt auch Richter, die sich allwöchentlich auf den Amtstag freuen. „Es ist unvereinbar, aber ich mache es gerne“, sagt die Wiener Familienrichterin Doris Täubel-Weinreich. Sie fordert aber eine Reform, um diese Unvereinbarkeit aus der Welt zu schaffen. Ihr Reformvorschlag: Eigene Rechtsantragsstellen sollen geschaffen werden. An diesen würden speziell ernannte Richter tätig sein. Diese nehmen die Anträge der Bürger bloß auf. Darüber entscheiden müssten andere.

Bleibt die Frage, ob sich viele Richter für eine Tätigkeit bei den Rechtsantragsstellen interessieren würden. „Ich würde mich freiwillig melden“, meint jedenfalls Täubel- Weinreich. Die eigenen Antragsstellen sollten noch weitere Vorteile mit sich bringen: Sie könnten an mehreren Tagen zur Verfügung stehen und nicht bloß an einem Tag pro Woche, meint die Richterin. Und man sollte im Internet ein zusätzliches Angebot offerieren: Von auswärts und zu jeder Uhrzeit könnten dann Bürger Anträge ans Gericht richten.

Keine „mobilen“ Amtstage mehr?

Richterpräsident Zinkl fordert, dass die Amtstage dort aufgelassen werden, wo kein Bezirksgericht mehr steht. An den aufgelassenen Standorten von Gerichten muss momentan nämlich auch an bestimmten Tagen ein Richter vorbeikommen, um der dortigen Bevölkerung zur Verfügung zu stehen. Dieses Angebot werde aber nur spärlich genutzt, sagt Zinkl, der betont: „Ich kann auch nicht an einen Ort, wo einmal ein Krankenhaus war, einmal pro Monat einen Arzt hinschicken.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2011)

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