Ein Armutszeugnis für die ÖVP: Hurra, wir leben noch!

Neo-Obmann Spindelegger soll der ÖVP die Themenführerschaft zurückerobern: Zuletzt wurden familienpolitische Leerformeln produziert und Verwirrung gestiftet.

Kürzer geht es fast nicht mehr. Innerhalb von nur vier Stunden wird die ÖVP heute, Freitag, in Innsbruck offiziell ihre innerniederösterreichische Übergabe auf dem von Sturmböen ramponierten schwarzen Hof von Josef Pröll zu Michael Spindelegger abspulen. Dabei würde es eine mit Applaus aus der Konserve unterlegte DVD vom Auftritt des neuen ÖVP-Chefs auch tun. Nur nicht die Inszenierung stören: Bei einer breiteren Debatte über das Herabwirtschaften der Noch-Junior-Regierungspartei müsste sich sonst so mancher aus den Ländern angereiste heimliche Bundesparteichef auf offener Bühne selbst bei der Nase nehmen.

Dabei ist Michael Spindelegger unmittelbar vor dem Bundesparteitag noch ein wahres Kunststück gelungen. Seine von ihm gefundene künftige Stellvertreterin Andrea Kaufmann erfüllt ziemlich genau jenes Anforderungsprofil, das die Partei jedem ÖVP-Chef in der Druckkammer zwischen Länder-, Bünde- und Geschlechterinteressen aufzwingt: Es wurde noch dringend jemand aus dem Westen gebraucht, die Zugehörigkeit zum ÖAAB war kein Nachteil. Und dass es sich bei der Landesrätin um eine vierfache Mutter handelt, macht sie zur Vorzeigefrau für einen ÖVP-Obmann, der mit Familienpolitik verärgerte Sympathisanten zurückgewinnen will.


Innerparteilich herrscht für den neuen Generalsekretär, Hannes Rauch, und für Spindelegger seit Donnerstag ohnehin fast nur eitel Wonne. Schließlich haben die schon rituell rebellischen Steirer und ihr Anführer Hermann Schützenhöfer das Kriegsbeil rechtzeitig begraben, die „Irritationen“ per Zuruf für beendet erklärt und eine einhellige Unterstützung des neuen Bundesobmanns versprochen. „Niemand hat Interesse, dass Spindelegger einen schlechten Start hat“, formulierte der steirische Chef der Schwarzen. Das klingt ja alles sehr, sehr beruhigend. Da konnte Spindelegger zumindest die Nacht vor seiner heutigen Wahl halbwegs geruhsam schlafen. Bei seiner Parteitagsrede muss er am Nachmittag ohnehin die Hinterbrühler Version von Superman spielen: Mit seiner rund einstündigen Rede soll Spindelegger der ÖVP die „Themenführerschaft“ zurückholen. Da sind schon ganz andere Kaliber an einfacheren Aufgaben gescheitert.

Seit seiner Nominierung vor einem Monat hat er trotz Vollmacht durch den Parteivorstand auf ÖVP-interne Befindlichkeiten Rücksicht genommen. Dieser Fokussierung auf das Parteileben ist es vielleicht auch zuzuschreiben, dass die kleinere Regierungspartei bei Sympathisanten und Bürgern zuletzt mehr Verwirrung als Klarheit gestiftet hat. Egal, ob es um das Hin und Her beim Termin der nächsten Steuerreform – vor oder nach der Wahl oder wann auch immer – ging oder bloß um eine einheitliche Linie beim Einbremsen der ÖBB-Zuschüsse. Gegen diese Pirouetten nehmen sich selbst die Tricks von Zauberern amateurhaft aus.


Immer diese mieselsüchtigen Journalisten, haben doch Spindelegger und seine Getreuen in den vergangenen Wochen so lautstark das Hohelied auf die Familie, die die ÖVP unterstützen will, gesungen! Genau diese Familien hätten allerdings liebend gern gewusst, warum der Bund 16 Milliarden für Pensionen lockermacht, während die Koalition noch immer kein Konzept hat, wie die Jugend an ausreichend dotierten Universitäten zielgerichtet studieren kann. Oder warum der Verteidigungsminister, wie am Donnerstag passiert, jedem Landeschef trotz Heeresreform ein Militärkommando lässt, während die ÖVP 15 zusätzliche Millionen pro Jahr für Kindergartenplätze vorerst blockiert.

Es wäre kein Wunder, würde der neue ÖVP-Chef angesichts der immer lauter hörbaren Überlegungen in Unternehmer- und Industriekreisen über eine eigene Wirtschaftspartei nach dem Alle-haben-sich-lieb-Ausnahmezustand rund um den Parteitag Albträume bekommen. Gegen die blaue Gefahr hat er Johanna Mikl-Leitner als Innenministerin und Strache-stoppende Testperson in Stellung gebracht. Sonst gab es die einzig beständige Botschaft: Hurra, wir leben noch! Ein Armutszeugnis für eine ÖVP, die sich stets als staatstragende Partei, die inhaltlich den Ton angibt, verstanden hat.

E-Mails an: karl.ettinger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2011)

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