Dea Loher: Leben auf der Schaufel

Andreas Kriegenburg zeigt „Diebe“ im Museumsquartier: ein meist hoch amüsantes und manchmal gruseliges Panorama der Vergeblichkeit.

Nichts wird ausgelassen. Nicht einmal ein alter Witz: Eine Frau meldet ihren Mann als vermisst. Nach Aufnahme der Daten bei der Polizei inklusive musikalischer Einlagen der Dame, die den Polizisten irritieren, stellt sich heraus: Der Ehemann ist schon 43 Jahre abgängig...

Andreas Kriegenburg zeigt im MQ „Diebe“ von Dea Loher. Die Produktion vom Deutschen Theater in Berlin wurde 2010 uraufgeführt. Die Försterstochter Loher, in Bayern geboren, studierte Germanistik, Philosophie und ist eine der erfolgreichsten zeitgenössischen Dramatikerinnen. Sie protokolliert poetisch und surreal die Absurditäten des Alltags. Das Burgtheater zeigte „Klaras Verhältnisse“, „Adam Geist“.

Die Wand, die Leute wegräumt, hat Kriegenburg schon bei seinem Wiener „Danton“ benutzt. Der gelernte Tischler bekommt Preise, nicht nur für seine Inszenierungen, sondern auch für seine Bühnenbilder. Ein Mühlrad füllt die Bühne, es schiebt Menschen hier- und dorthin, hebt sie auf Schaukeln in die Luft oder lässt sie polternd verschwinden. Das Leben ist eine Art Rolltreppe, befand einmal der Philosoph Peter Sloterdijk. Auf dem Schaufelrad finden kleine und große Tragödien, Komödien statt. Wie Botho Strauß, aber weniger hochgestochen, realer, erdiger, fügt, kettet Loher ihre nach der Natur gestalteten Figuren aneinander.

Kriegenburg zieht sie quasi heraus aus ihrem Fundament, lässt sie skurril im Raum schweben. Die Ähnlichkeit mit Marthaler ist weniger groß, als man annehmen würde. Hier ist doch ein sehr eigener Stil entstanden. Einige der Episoden: Versicherungsagent Finn Tomason (passend verstört: Jörg Pose) beschließt eines Tages, wovon viele Werktätige träumen. Er steht nicht mehr auf. Doch die Verweigerung führt alsbald in den Abgrund. Es bleibt offen, ob Finns Leiden psychischer (Depression) oder körperlicher Art (Krebs) ist. Als er schließlich aus dem Haus gehen möchte, kann er es nicht mehr.

Seine Zwillingsschwester Linda (Judith Hofmann) und Vater Erwin (Markwart Müller-Elmau), der im Heim lebt und aus diesem entfliehen möchte, machen sich Sorgen um den verschwundenen Finn. Erwin war ebenfalls Versicherungsagent, Spezialist für höhere Gewalt bzw. dafür, wie Zahlungen der Versicherung bei Fällen höherer Gewalt, die bekanntlich im wirklichen Leben nicht versichert werden kann, zu vermeiden sind.

Ensemble, perfekt geführt und gestylt

Erwin wird schließlich von der Dame gekapert, welcher der Gatte vor 43 Jahren abhandenkam: Ira Davidoff heißt sie, trägt Hütchen und pastellrosa Kostüm, Heidrun Perdelwitz verleiht der dem Theater vielfach entschwundenen „komischen Alten“ neue Facetten, eine davon ist, dass „komische Alte“ heute oft wie Mittvierzigerinnen aussehen, vital, ja sogar liebesbedürftig sind, wovon einschlägige Anzeigen in Zeitungen künden.

Die Menschen in dieser Aufführung leben halbwegs in Sicherheit, trotzdem können sie jählings versenkt, beiseitegeschoben werden, nicht nur vom Bühnenbild, auch vom Leben selbst. Meist lassen sie es sich mit der heute üblichen Attitüde „Ich nehme jede Herausforderung an“ gefallen, manchmal rasten sie aber auch aus. Das Ehepaar Schmitt (Bernd Moss, Anita Iselin) glaubt, ein Tier im Garten zu haben. Dieses entpuppt sich als der Bestatter Josef Erbarmen (Helmut Mooshammer), der auf der Suche nach dem Vater seiner schwangeren Freundin Mira (Olivia Gräser) ist. Herr Schmitt ist der Samenspender, er will aber an diese Erwerbsquelle seiner Studentenzeit nicht erinnert werden, noch weniger seine Frau. Die Schmitts nehmen den Hammer ...

Auch der Polizist (Daniel Hoevels) greift nach mancherlei Komplikationen mit Gattin Monika (Barbara Heynen) zur Waffe. Und ganz ein Schlimmer ist Bernd Stempel als heimlicher Blaubart Rainer Machatschek...

Die Schauspieler sind wunderbar, weniger dank Virtuosität als dank virtuoser Beiläufigkeit. Sie sind typengerecht besetzt, zurechtgemacht (Kostüme: Barbara Drosihn), geführt. Wer sind diese Diebe? Menschen, die leben, aber so, als lebten sie nicht. Halb vergnügt, gelegentlich ganz verzweifelt klammern sie sich aneinander und an ihre Träume, die wie Seifenblasen platzen. Die Aufführung erinnert an Andrea Breths „Zwischenfälle“ von Courteline Charms im Akademietheater, nur dass es zum jeweiligen Sketch-Schluss nicht kracht und scheppert, sondern bloß das Mühlrad gleichgültig Leute und Dinge wegwälzt, -walzt, -rollt...

Dreieinhalb Stunden mit Pause dauert die teils vom Stummfilm inspirierte Aufführung. Manchen war sie zu episch. In der Tat gibt es einige langatmige Dialoge. Insgesamt aber: amüsant. Oder, wie es der Dichter Peter Rosei sagen würde: spendend, was sich vom oft kulturpessimistisch gestimmten Theater nicht immer behaupten lässt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2011)

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