Kambodscha: Auf Befehl von oben verheiratet

Kambodscha Befehl oben verheiratet
Kambodscha Befehl oben verheiratet(c) Ap (David Longstreath)
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Systematische Massenhochzeiten: Hunderttausende wurden von den Roten Khmer in Kambodscha zur Ehe gezwungen: Heute sind sie Nebenkläger im zweiten Kriegsverbrecherprozess - falls dieser je beginnt.

In ein 70-jähriges Leben passen, wenn man vom Geburtstag ausgeht, 25.717 Tage. Es passt, im Fall von Sou Sotheavy, eine kurze Kindheit hinein, die mit 14 Jahren endete. Damals erkannte die als Junge geborene Frau, dass sie transsexuell ist. Nachdem sie sich outete, setzten ihre Eltern sie vor die Tür. Es passt eine Zwischenstation in einem buddhistischen Tempel hinein, in dem sie dank einer Nonne kurz Unterschlupf fand und anschließend ein Leben als Prostituierte führte und trotz all der Schwierigkeiten einen Realschulabschluss vorweisen kann. Es passt in dieses Leben eine Ehe, eine von den Roten Khmer erzwungene Heirat mit einer Fremden und ein Kind.

Sou Sotheavy weiß nicht, wie es den beiden heute geht, ob sie noch leben und an sie denken. Sie hat sich 1979 von der Frau getrennt und nie wieder etwas von beiden gehört. Und obwohl Sou Sotheavy das Regime der Roten Khmer überlebte, sie vergewaltigt wurde, ihre Identität leugnen und dreimal ins Gefängnis musste – für sie ist ihr Leben nicht zerstört. Im Gegenteil: Gerade diese Zeit habe ihr Kraft gegeben.

Sou Sotheavy sitzt in einem Restaurant in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh und erzählt von diesen Tagen. Das ist Stoff, bei dem man durchatmen muss. Im Phnom Penh der 1960er-Jahre arbeitete sie als Nachtklubsängerin und Prostituierte. Ob ihre Eltern und 15 Geschwister ihre Transsexualität jemals akzeptiert haben, weiß sie nicht. Denn sie alle wurden während der Terrorjahre von 1975 bis 1979 umgebracht oder starben an Hunger und Erschöpfung. „Das Töten begann am ersten Tag der Roten Khmer in Phnom Penh“, erinnert sich Sou Sotheavy.

Etwa ein Viertel der Bevölkerung des südostasiatischen Landes wurde damals ermordet. Bisher wurde nur eine Person zur Rechenschaft gezogen – Kaing Guek Eav, besser bekannt als Duch, wurde im vergangenen Jahr zu 35 Jahren Haft verurteilt. Der Hauptverantwortliche, Diktator Pol Pot, starb 1998, ohne jemals von der Justiz behelligt worden zu sein.

„Nichts gewusst.“ Demnächst sollen „Bruder Nr. 2“ – Nuan Chea, Chefideologe der Roten Khmer –, der Staatschef Khieu Samphan, Außenminister Ieng Sary („Bruder Nr. 3“) und dessen Frau, Sozialministerin Ieng Thirith, vor dem internationalen Tribunal stehen, das 2003 seine Arbeit aufgenommen hat. Die Zeit drängt, sie sind alle um die 80 Jahre alt. Sie bedienen sich des üblichen Vokabulars, als gebe es eine Sprache ertappter Völkermörder: nichts gewusst, nie davon gehört, nur Befehle ausgeführt – Worte, die sie bei jeder Anhörung wiederholen. Eigentlich sollte der zweite Prozess nun im Juni oder Juli beginnen. Momentan untersucht ein Gutachter, ob den Angeklagten ein Verfahren überhaupt noch zumutbar sei. Dem heutigen Premierminister, Samdech Hun Sen, der einst selbst bei den Roten Khmer war, scheint nicht viel an der Aufklärung zu liegen. Sou Sotheavy ist eine Nebenklägerin und Opfer einer Verbrechenskategorie der Roten Khmer, die erst durch die Berliner Menschenrechtsanwältin Silke Studzinsky an die Öffentlichkeit gekommen ist: „Gender Based Crimes“ oder Verbrechen aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit. Sotheavy musste unter den Roten Khmer ihre langen Haare abschneiden, durfte keine Kleider tragen und kam wegen ihrer Transsexualität in Gefängnis und Umerziehungslager. Dort wurde sie von den Wärtern mehrfach vergewaltigt.

Studzinsky, die Nebenkläger vor dem Tribunal vertritt, hat die Fälle von Zwangsehen und Vergewaltigung beim Studium von Akten und historischen Unterlagen entdeckt und als Straftatbestand wieder aufgerollt. Im ersten Prozess wurde sexuelle Gewalt als Straftatbestand nicht zugelassen. Die Haltung der Juristen sei am Anfang sehr zurückhaltend gewesen, erzählt Studzinsky. Woran das liegt? Bei dem Gericht arbeiteten fast nur Männer, die sich für dieses Thema wenig interessierten. Anträge, weibliche Ermittler und Dolmetscher zu beschäftigen, seien bisher ignoriert worden, so Studzinsky.

Ideologie war alles. Mit der Zulassung von Nebenklägern hat das aus internationalen und kambodschanischen Richtern und Staatsanwälten zusammengesetzte Tribunal in der Geschichte internationaler Strafgerichtshöfe juristisches Neuland betreten: Weder in den Tribunalen in Ruanda noch in Sierra Leone hatten die Opfer die Möglichkeit, als gleichberechtigte Partei aufzutreten und so die Angeklagten zu zwingen, sich ihren Opfern direkt zu stellen.

Sou Sotheavy ist kein Einzelschicksal. Zu Hunderttausenden wurden die Kambodschaner von den Roten Khmer zwangsverheiratet. Allerdings beruhen die Zahlen auf Schätzungen, Statistiken aus dieser Zeit fehlen, auch die schriftliche Anordnung dazu von oben. Aber Studzinsky ist sich sicher: Ohne Befehl von oben hätten diese systematischen Massenhochzeiten nicht stattfinden können. Wegen fehlender Dokumente ist auch unklar, welchen Zweck die Roten Khmer mit den Zwangsehen verfolgten. Vermutlich ging es um die Schaffung eines neuen, ideologisch zuverlässigen Menschen, meint die Juristin.

„Konnte mich nicht wehren.“ Einer mehrstündigen Indoktrination folgte die Eheschließung – ohne Zeremonie oder Segnung durch Mönche. Nach der Hochzeit musste die Ehe vollzogen werden und Mitglieder der Roten Khmer schauten zu. Wer sich weigerte, Sex zu haben, dem drohte Gefängnis. „Wehren konnte ich mich nicht. Sie hatten Gewehre“, sagt Sou Sotheavy.

Obwohl sich die 70-Jährige nicht hat unterkriegen lassen, sich einen gewissen Idealismus bewahrt und gegen die Resignation gestemmt hat, konnte sie das Schlimme bis heute nicht verarbeiten. Während sie redet, muss Sou Sotheavy öfters weinen.

Drei Jahre, acht Monate und 20 Tage dauerte die Herrschaft der Roten Khmer. Diese Zeit hat sich auf ewig in ihre Seele gegraben.

Fakten

1975
kamen in Kambodscha die Roten Khmer an die Macht und überzogen das Land mit ihrer Schreckensherrschaft.Diktator Pol Pot ließ unter seinen Landsleuten „Massensäuberungen“ durchführen – bis zu 2,2 Mio. wurden getötet.

Im Dezember 1978
marschierten Soldaten aus Vietnam in Kambodscha ein, um das Regime zu stürzen.

2003
nahm das Rote- Khmer-Tribunal, von der UNO und Kambodscha gegründet, in Phnom Penh die Arbeit auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2011)

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