Jugoslawien: „Das waren kommunistische Verbrechen“

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Vuk Drašković, Literat und Gründer der Serbischen Erneuerungsbewegung, macht Milošević für Jugoslawiens Zerfall verantwortlich. Serbiens Nationalbewegung sei immer „europäisch“ gewesen.

Die Presse: Vor 20 Jahren haben Slowenien und Kroatien die Unabhängigkeit erklärt. Wie sehen Sie das heute?

Vuk Drašković: Mit einem Gefühl der Jugo-Nostalgie. Ich denke, dass in erster Linie Milošević schuld an der Auflösung Jugoslawiens war. Er war der Führer der größten Republik. Seine Verpflichtung war deshalb, alles zu tun, um die Wünsche nach Restrukturierung des Landes und demokratische Reformen zu erfüllen. Doch er wies das zurück. Er war der letzte Verteidiger der Idee des Kommunismus. Das heißt nicht, dass all die anderen unschuldig waren: Nach Milošević tragen sicher der kroatische Präsident Franjo Tudjman und der bosnische Präsident Alija Izetbegović die größte Verantwortung.

Wie hätte der Krieg verhindert werden können?

Es gab viele Möglichkeiten. 1989 haben die Führer Kroatiens und Sloweniens den Umbau Jugoslawiens in eine asymmetrische Föderation vorgeschlagen. Sie wollten, dass Serbien, Bosnien, Mazedonien und Montenegro zueinander starke föderale Verbindungen behalten und schwächere konföderale Verbindungen zu Slowenien und Kroatien unter dem Dach eines Staates. Milošević lehnte ab.

War es nur der – wie Sie sagen – „Kommunist“ Milošević, der Jugoslawien zerstört hat? Was ist mit dem Nationalismus, der etwa in Serbien schon in den 80er-Jahren anwuchs: mit den Schriften von Dobrica Ćosić, dem Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften?

Die serbische intellektuelle Elite war blind – vor allem die Akademie der Wissenschaften und meine Schriftstellerkollegen. Natürlich glaubten viele Serben, dass nach dem Zweiten Weltkrieg Serbien ein besonderes Opfer des Kommunismus war. Denn ab 1944 wurden tausende Antikommunisten umgebracht. Doch das Absurde daran: Die Führer des neuen serbischen Nationalismus waren Kommunisten, die an der Erniedrigung der serbischen Nation nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligt waren.

Aber Milošević tat zunächst, was die nationalistischen Intellektuellen wollten. Er hob die Autonomie des Kosovo auf. Das sorgte für Widerstand Sloweniens und Kroatiens, die ein immer mächtigeres Serbien fürchteten.

Der Kosovo war ein sehr schmerzhafter Punkt für die Manipulation der serbischen nationalen Gefühle. Nach Titos Tod haben wir Bekanntschaft mit der Realität gemacht: Der Kosovo ist natürlich Teil Serbiens. Und die Serben glauben, dass der Kosovo das spirituelle Zentrum Serbiens ist, das serbische Jerusalem. Aber zugleich waren 90 der Prozent der Bewohner dieses serbischen Jerusalems keine Serben und wollten sich von Serbien trennen. Milošević hätte alles tun müssen, um einen Kompromiss zu schließen und den Kosovo im Verbund Serbiens zu halten, indem er den Kosovo-Albanern das Maximum an Selbstbestimmung gibt. Aber Milošević hat sich dazu entschieden, Gewalt anzuwenden. Und wir haben erneut einen sehr hohen, tragischen Preis bezahlt.

Sie waren bereits zum Zeitpunkt des Zerfalls von Jugoslawien ein wichtiger Schriftsteller und Politiker. Würden Sie etwas anders machen, wenn man die Zeit zurückdrehen könnte?

Nein. Ich tat das Maximum von dem, was ich tun konnte. Ich liebte Jugoslawien. Und ich war der Anführer der größten nationalen demokratischen Partei in Serbien, der Anführer der Anti-Milošević-Front. Das Regime hat mehrmals versucht, mich zu ermorden. Es ist ein Wunder, dass ich heute mit Ihnen sprechen kann.

Nochmals: Welche Rolle spielten der serbische Nationalismus und die serbische Nationalbewegung, der damals auch Sie angehörten?

Das ist eine Manipulation. In diesem Krieg wurden wir Serben für furchtbare Kriegsverbrechen angeklagt. Doch hinter all diesen Verbrechen stand die kommunistische Ideologie, die mit nationalen Gefühlen und Symbolen manipuliert hat. Im Haager Tribunal kann man hören, dass serbische Četniks Verbrechen in Srebrenica begingen. Aber die Četniks der antikommunistischen Bewegung von General Draža Mihailović wurden Ende des Zweiten Weltkrieges von den Kommunisten massakriert. Wie ist es möglich, dass Mihailović vom Grab aus diese Verbrechen begangen hat? Nein. Das waren keine Četniks. Wer ist Ratko Mladić? Er war ein kommunistischer General. Jetzt ist es einfach zu sagen: Es war der „blutige serbische Nationalismus“, der diese Verbrechen begangen hat. Nein. Der serbische Nationalismus war immer ein europäischer Nationalismus.

Wie sehen Sie die Zukunft der Region?

Wir müssen alles tun, um in die EU zu gelangen. Ich hoffe, schon bald sitzen alle Länder Ex-Jugoslawiens wieder zusammen im europäischen Parlament und anderen europäischen Institutionen. Das ist mein Traum und mein politisches Ziel. Wir könnten auch so etwas wie eine Balkan-Subunion in der EU auf die Beine stellen – mit besseren Verbindungen zwischen den Staaten Ex-Jugoslawiens.

Zur Person

Der Schriftsteller Vuk Drašković gründete 1990 die Serbische Erneuerungsbewegung, eine demokratisch-nationalistische Partei, die bald auf Konfrontationskurs mit Serbiens Machthaber Slobodan Milošević ging. Drašković war in der serbischen Oppositionsbewegung tätig, übernahm kurzzeitig aber ein Amt in Miloševićs Regierung. Später versuchte das Regime, ihn zu ermorden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2011)

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