Party-Bim: Am Niederflur zum Dancefloor

PartyBim Niederflur Dancefloor
PartyBim Niederflur Dancefloor(c) APA (Georg Hochmuth)
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Um die U6 auch spätnachts zu ersetzen, hatte am Freitag die "Bim" als Transportmittel durch die dunklen Stunden außerhalb des normalen Fahrplans Premiere: Mit der Nacht-Straßenbahn E durch ein Wien zwischen Partylaune, Wut, Übelkeit und Tiefschlaf – eine Reportage.

Kurz nach Mitternacht in der Wiener Josefstadt. Das Café Hummel macht sich fertig für die Nacht: Erste Lampen gehen aus, aus dem Stimmengewirr der letzten Gäste, die bei Hochprozentigem über die Vorzüge der „Wiener Dentistentöchter“ schwärmen, schält sich die Stimme von Wolfgang Ambros: Sperrstund' is. Wie jede Nacht.

Etwas ist dennoch anders: Auch wenn es später im Hummel niemand mehr hören wird – das charakteristische Geräusch der Straßenbahn, die sich hier untertags wieder und wieder um die enge Kurve in die Albertgasse hinein schmiegt, wird in dieser Nacht nicht verstummen. Mit der Linie E, die noch bis Ende August den gesperrten Abschnitt der U6 ersetzt, muss zum ersten Mal auch eine „Bim“ den spätesten aller Dienste übernehmen. So wird heute, teils auf der Strecke der Linien 5 und 37, der „E“ das Quietschen und Knarren in die Nacht hineintragen. Bis kurz nach ein Uhr sind acht Bahnen in Intervallen von siebeneinhalb Minuten unterwegs, dann nur noch vier. Durch die Nacht im Viertelstundentakt, vom Westbahnhof über die Kaiserstraße vorbei an der Partyzone des Gürtels bis zur Endstation Nussdorfer Straße.

Die alte Bim zu später Stunde? Diese rot-weiße Stadtromantik wollen die Wiener Linien nicht bieten: Nur Niederflur-Bahnen durchkreuzen die Nacht, ihre durchgängigen Wagons machen sie für die zwei Ordnungshüter pro Wagon leichter durchblickbar. Nur wer sich beeilt, kann noch ein letztes Mal in das zusteigen, was Wien eigentlich meint, wenn es „Bim“ sagt. So wie Jennifer Schmatzer und Katharina Jungblut, die – sichtlich in Feierlaune – gegen 00:30 Uhr mit der letzten alten Garnitur Richtung Westbahnhof fahren. Mit 23 und 24 Jahren repräsentieren sie den Altersschnitt gut: Wer hier in die hölzernen Sitze sinkt, ist großteils unter dreißig. Plateauschuhe, rosa Haare, tief sitzende Hosen – alles fährt heute Bim. In einer Stimmung irgendwo zwischen der Ausgelassenheit einer durchfeierten Freitagnacht und langsamer Bim-Gemütlichkeit.

Und obwohl es für Jennifer Schmatzer „selbstverständlich“ ist, dass statt der U6 nun die „Bim“ die Nacht durchmacht – die Linie E dominiert die Gespräche in ihren Garnituren doch: „Schau, die haben sogar Schilder gemacht“, stellt ein Fahrgast fest und hebt die Hand von der Bierdose, um darauf zu zeigen. Seine Begleiterin, eher unbeeindruckt: „Wenn noch eine Durchsage auf die U6-Sperrung hinweist“, sagt sie und rollt genervt mit den Augen, „flipp' ich aus!“

Wer ist schuld? Tatsächlich sorgt die nicht an die Nacht angepasste Durchsage der Wiener Linien immer wieder für Lacher. Keine U6 zwischen Westbahnhof und Alser Straße – die Botschaft kennt man. Einige Gesprächspartner hat Christine Sauerzopf am Westbahnhof dennoch: Jede neue U3 spült Fragende vor ihren Informationsstand, an dem die Wiener-Linien-Mitarbeiterin freundlich und bestimmt den Weg durch die Nacht weist. Manche, wie der Herr aus Breitenfurt, der wohl sonst auch selbst seine lange Route heimwärts plant, lassen sich gerne auch ein wenig umsorgen. Andere sind unwirscher: „,Wer hat sich das einfallen lassen?‘, fragen die Wütenden“, so Sauerzopf, „dieser Wer kriegt auch die entsprechende Titulierung – Trottel, Idiot, und so weiter.“ Sauerzopf nimmt es gelassen: „Ich bin sehr ausgeschlafen.“

Vier Kollegen regeln bei der Einstiegsstelle des „E“ den Passagierfluss – viele dafür, dass friedlich in kleinen Grüppchen gewartet wird. Nach der Abfahrt wird weiter über Fahrpläne diskutiert, obwohl diese gut sichtbar über den Türen hängen. Die Kenntnis dessen, was die Ansage gleich ankündigen wird, scheint immanenter Bestandteil des Öffi-Wohlgefühls zu sein.

Zirka ein Drittel der Plätze sind um 1:50 Uhr besetzt, als die automatische Durchsage ausfällt. Der Fahrer ergänzt den angefangenen Satz in stilechtem Wienerisch. Das ist Bim-Feeling. Selbst wenn es manche verschlafen. Auch dafür gibt es die Helfer: Zum Aufwecken.
Endstation, bitte aussteigen. In flotten zwanzig Minuten geht es vom Westbahnhof zur Nussdorfer Straße. Beim dortigen Eingang der U6-Station dominieren mindestens zehn Polizisten die Szene. Was sie hier tun, kann auch Polizeisprecher Roman Hahslinger am Morgen nicht genau erklären: „Vielleicht hat jemand eine Schlägerei kommen sehen und den Notruf gewählt – rund um die U6 sind auch kleine Drogendelikte häufig. Anzeigen gab es jedoch keine, im gesamten Netz nicht.

Christian Zagorski, 26 und am Weg Richtung Westbahnhof, kennt die Schlägereien hier. „Die hauen sich jedes Wochenende, deswegen ist hier Polizei.“ Über die zwei wachsamen Nightliner im Wagon hat er sich trotzdem gewundert: „Ein bisschen viel“ sagt er, „aber wenn Leute in der U-Bahn schon Sex haben, dann muss irgendwer aufpassen.“ Mit der Linie E ist seine Freundin Ruza Pavlovic nicht ganz zufrieden: „Ich wohne an der U6, jetzt dauert jeder Weg schon länger“.

Matthias Adler sieht das anders: „Man kommt weiter, das reicht.“ Warum er dennoch nachhause fährt? Adler zeigt auf seine Begleiter: „Ihr ist schlecht, er hat Schädlweh.“ Hinten im Wagon gerät indes die nächtliche Logik durcheinander: „Von zwei Bier ist man immer fetter als von fünf“ meint ein Fahrgast. Sein Begleiter stimmt zu: „Immer.“

Schwarzer Freitag. Gegen drei Uhr, wieder beim Café Hummel. In der Dunkelheit wartet Heinz Wirth. „Früher habe ich mit guten Freitagen andere Tage ausgeglichen, jetzt ist es der schlechteste Tag“, sagt der Taxifahrer. Was ihn stört, kritisieren viele: Zu viele Taxis, zu wenige Kunden. Doch daran werde sich so schnell nichts ändern. Dann fährt Wirth davon. Rasch. Vielleicht wartet doch ein später Gast.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2011)

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