DDR: Das absurdeste Bauwerk des 20. Jahrhunderts

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Nach drei Millionen, die die DDR verlassen hatten, griff das KP-Regime zum äußersten Mittel. Eine Mauer quer durch Berlin sperrte 28 Jahre lang die eigene Bevölkerung ein. Hunderte starben bei Fluchtversuchen.

Der amerikanische Präsident John F. Kennedy hatte es geahnt: Als am 13. August 1961 die ersten bösen Nachrichten aus Berlin einlangten, wusste er, dass die Sowjetunion mit ihren Drohungen Ernst machte. Beim Gipfeltreffen mit dem Kreml-Herrscher Nikita Chruschtschow am 3. und 4. Juni in Wien hatte dieser gepoltert: Die einstige Reichshauptstadt, jetzt von den Siegermächten besetzt, müsse entweder eine entmilitarisierte Freie Stadt werden – oder man werde sich „andere Lösungen“ einfallen lassen. Seit 1945 war die ehemalige Reichshauptstadt in vier Sektoren geteilt, besetzt von der UdSSR, Großbritannien, Frankreich und den USA. Sie hatte einen eigenen völkerrechtlichen Status und war unabhängig von den beiden deutschen Staaten, die sich 1949 gebildet hatten.

Es gehe – so Chruschtschow – nicht länger an, dass sich das westliche Militärbündnis wie ein Pfahl im Fleisch der „Deutschen Demokratischen Republik“ festklammere. Der Frieden in Europa werde durch eingeschleuste „westdeutsche Kriegstreiber, Revanchisten und Neonazis“ gefährdet.

„Es wird ein kalter Winter“

Man war damals in Wien ohne greifbares Ergebnis auseinandergegangen („Die Welt bis gestern“, 4. Juni 2011). „Wenn es so ist, wird es ein kalter Winter“, hatte Kennedy zum Abschied noch orakelt.

Doch so lange konnten weder Moskau noch sein kommunistischer Ostberliner Vasall Walter Ulbricht warten. Die ostdeutschen Bürger liefen ihrer DDR in hellen Scharen davon. Tausende waren es täglich, und es wurden immer mehr, die alles hinter sich ließen, den Job, die Wohnung, oft auch die Familie, sich einfach in die U-Bahn setzten, unbehelligt in den Westen fuhren und in einem Notaufnahmelager, aber in der Freiheit landeten. Seit dem Kriegsende 1945 waren etwa 3,5 Millionen Menschen „nach drüben“ getürmt: vornehmlich gut ausgebildete junge Leute. Die DDR rann förmlich aus. Der Altstalinist Walter Ulbricht, Vorsitzender des Staatsrats der DDR, musste aktiv werden.

Am 15. Juli gab er in Ostberlin eine seiner raren internationalen Pressekonferenzen: Man werde dem „Treiben westdeutscher Revanchisten, Kriegshetzer und Militaristen“ drastisch ein Ende bereiten. Die DDR werde ihre Staatsgrenzen „mit allen Mitteln“ schützen. Also auch mitten in Berlin? Quer durch die Millionenmetropole? Direkt vor dem Brandenburger Tor? Annamarie Doherr von der „Frankfurter Rundschau“ hatte diese Frage gestellt.

Honecker plante schon die Mauer

Mit seiner merkwürdig hohen Greisenstimme sächselte Ulbricht: „Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten, ja? Äh, mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft voll ausgenutzt, äh, eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ An eine Mauer hatte gar keiner der Journalisten gedacht. Ulbricht hatte sich verraten. Seit Monaten plante sein Handlanger Erich Honecker als Sekretär des Zentralkomitees genau dies.

Am frühen Morgen des 13. August 1961 war es so weit. Ein monströses „Bauprojekt“ nahm seinen Lauf. Ungläubig und geschockt die Zuschauer auf beiden Seiten der Sektorengrenze. Das konnte doch nicht wahr sein! Zehntausend DDR-Soldaten und Volkspolizisten, obendrein noch 4500 Angehörige der „Betriebskampfgruppen“, begannen, sämtliche Straßen und Gleise nach Westberlin abzuriegeln. An den alliierten Grenzübergängen standen sowjetische Besatzungssoldaten in Gefechtsbereitschaft.

Würden sich die drei westlichen Siegermächte eine derartige Abriegelung ihrer Sektoren gefallen lassen? Sie mussten. Sie hatten keine andere Wahl. Einen Krieg, womöglich einen atomaren, wollte keiner riskieren. Also fiel Kennedys Reaktion dementsprechend aus: Verbal empört, aber insgeheim froh, dass es zu keiner Konfrontation mit den Sowjets kam. Die westlichen Zugangsrechte, auch die Flugkorridore in die nunmehrige Enklave „Westberlin“ wurden nicht beeinträchtigt, also griff der Westen auch nicht ein. „Keine sehr schöne Lösung, aber tausendmal besser als Krieg“, soll der US-Präsident zu Vertrauten gesagt haben.

Häuser an der Grenze – abgerissen

Und so konnten die Volkspolizisten am ersten Tag – zur ohnmächtigen Empörung der Berliner – zunächst eine provisorische Sperre mit Betonmauersteinen errichten. Kilometerlang war diese „Staatsgrenze“. Oft war es auch nur ein Stacheldrahtzaun. Hauseingänge wurden zugemauert, aus den oberen Stockwerken auf der Rückseite sprangen DDR-Bürger in die Tiefe – in die Freiheit. Die internationalen Fotoagenturen lieferten Bilder, die um die Welt gingen: Flüchtlinge, sie sich mit zusammengeknoteten Leintüchern abseilten, alte Frauen, die sich in die Sprungtücher der Westberliner Feuerwehr fallen ließen. Es war die allerletzte Chance. Ihre Häuser, die direkt an der „Staatsgrenze“ standen, wurden bald danach abgerissen.

Auch Grenzsoldaten „türmten“

Nur 85 Mann der DDR-Grenzsicherungstruppen gelang in diesen Tagen die Flucht vor ihren wachsamen Kameraden. Auch 216 Zivilisten glückte dies noch unter abenteuerlichen Umständen. Der Schnappschuss, der den jungen Grenzer Conrad Schumann beim Überspringen des Stacheldrahts in der Bernauer Straße zeigt, wurde zu einem der Symbolfotos.

Und wo blieb die westdeutsche Regierung in Bonn am Rhein? Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) mahnte noch am selben Tag im Radio zur Ruhe und Besonnenheit. Aber er war machtlos. Erst zwei Wochen nach dem Mauerbau setzte er eine Geste und besuchte Westberlin. Auch der „Regierende Bürgermeister“ Willy Brandt (SPD) war hilflos, wenngleich er heftig protestierte. Am 16. August 1961 versammelte er 300.000 Westberliner Mitbürger vor dem Schöneberger Rathaus, um die Wut und Enttäuschung hinauszuschreien.

Die Supermächte belauern einander

Trotz vieler menschlicher Tragödien stabilisierte sich die Lage um die geteilte Stadt – immerhin tobte noch der „Kalte Krieg“, also die Gegnerschaft der beiden Supermächte samt atomarem Vernichtungspotenzial. Die „Kuba-Raketenkrise“ im Oktober 1962 sollte der Höhepunkt dieser Auseinandersetzung werden. Was damals die Welt an den Rand des Atomkriegs brachte, veranlasste die beiden Supermächte in der Folge doch zu einer Deeskalation.

Berlin blieb aber noch lange Symbol einer ideologisch geteilten Welt. Die DDR trommelte weiter in infamer Art und Weise den Begriff vom „Antifaschistischen Schutzwall“: Der Staat müsse vor „Abwanderung, Unterwanderung, Spionage, Sabotage, Schmuggel, Ausverkauf und Aggression aus dem Westen“ geschützt werden. Dabei richteten sich die tödlichen Sperranlagen gegen die eigene Bevölkerung. Schauprozesse mit Todesurteilen folgten. Wer sich als Ostdeutscher in eindeutiger Weise der Mauer näherte, war vogelfrei und wurde kurzerhand erschossen. Trotzdem glückten zwischen 13. August 1961 und dem 9. November 1989, als die Mauer fiel, gezählte 5075 Fluchten nach Westberlin bzw. Westdeutschland. 574 Soldaten der „Nationalen Volksarmee“ waren darunter.

Der „Ostblock“ kollabiert

Freilich: Die martialischen Töne passten nicht zur ökonomischen Lage des Regimes, das immer mehr abbaute. Auch der frühere Scharfmacher Erich Honecker konnte nicht mehr wie er wollte, als er an die Macht gelangte. Willy Brandt machte als Bundeskanzler vorsichtige Entspannungsschritte, Honecker ließ sie sich teuer abkaufen. Und gewährte „generös“ Reiseerleichterungen für Bürger, die ohnehin schon „unproduktiv“ waren: Rentner etwa.

Zuletzt, in den Achtzigerjahren, hing die DDR-Volkswirtschaft nur noch am finanziellen Tropf der reichen Bundesrepublik. Jeder neue Kredit wurde nur gegen weitere Reiseerleichterungen gewährt, zuletzt fielen die kommunistischen Staaten 1989 im Osten Europas um wie die Dominosteine. Seit dem 11. September 1989 gab es für die Ostdeutschen eine offene Grenze über Ungarn nach Österreich.

Schon im Oktober bereitete das DDR-Regime eine „kontrollierte“ Öffnung der Berliner Mauer vor, durch eine pure Schlamperei des ZK-Mitglieds Günter Schabowski auf seiner Pressekonferenz brachen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 alle Dämme. Nach über 28 Jahren konnten die Berliner in Ost und West wieder von ihrer Stadt Besitz nehmen.

Eine welthistorische Nacht. Wir durften sie erleben. Zeitzeugen Erzählen Seite 8

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2011)

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