Bregenz: Kušej und Schimmelpfennig - das will einfach nicht zünden

(c) Arno Declair
  • Drucken

„Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes“ als Gastspiel des Deutschen Theaters in Berlin bei den Bregenzer Festspielen, ein konstruiertes Stück von Kušej brav inszeniert, der immer wieder Fragezeichen setzt.

Am Ende stehen sie alle vor einem riesigen Müllberg. Kein stinkender Müll, natürlich, wir sind ja schließlich im Theater. Kein grauer Müll, in dem sich schimmlige Pizzareste mit verrostenden Toastern, leere Konserven mit zerdrückten Milchpackerln mischen, sondern ein pittoresker Haufen bunter Plastiksäcke: Den starren sie dann entgeistert an, die beiden Paare, und aus dem Off hört man die Schnulze „We are the world“, die aus einer Zeit stammt, da helfen noch geholfen hat. Oder besser: aus einer Zeit, als alle noch meinten, sie könnten mit einem Lied die Welt retten. Man hat sie noch vor Augen, die begeisterten Stars, die hingebungsvoll die Zeilen von Michael Jackson und Lionel Richie intonierten.
Ein Vierteljahrhundert später hat Roland Schimmelpfennig, dessen Stücke seit Jahren den deutschsprachigen Raum beherrschen, ein Drama über die Unsicherheit der Helfenden verfasst: Es war ein Auftragswerk für das Festival „Afrika und der Westen“ in Toronto, dort auch uraufgeführt, seither oftmals nachgespielt, unter anderem am Deutschen Theater in Berlin (Kušej), und an der Burg in Wien (Schimmelpfennig selbst führte Regie). Der Plot ist simpel, erinnert ein bisschen an „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ und an Yasmina Rezas „Gott des Gemetzels“: Zwei Paare verbringen einen gemeinsamen Abend, befolgen brav die üblichen Rituale („Noch Wein?“) und schenken einander nichts.
Die Ausgangsbasis bei Schimmelpfennig ist freilich etwas brutaler als bei den Referenzautoren: Carol und Martin, die als Ärzte in Afrika waren, haben sich dort eines kranken Kindes angenommen, ihre Freunde Liz und Frank, die zu Hause geblieben sind, haben sie dabei finanziell unterstützt. Doch dann wurde die Lage brenzlig, die beiden Entwicklungshelfer sind geflüchtet – und haben das Kind zurückgelassen. Wie es überleben soll, ist ungewiss. Nein, eigentlich wissen alle: Das Kind wird sterben.

Plastik steht für den Westen

So weit, so zugespitzt. Dafür bleibt die Angelegenheit aber erstaunlich kühl. Das liegt daran, dass Schimmelpfennig das Stück arg konstruiert hat, da steht etwa die Plastikpuppe Peggy Pickit für den Westen, die als Gastgeschenk mitgebrachte Holzpuppe für Afrika, und am Ende landen beide auf dem Müll. Und wie der Autor wichtige Sequenzen ständig wiederholen lässt, dieser Versuch, auf rein formalem Weg Modernität zu suggerieren, hat bei der „Frau von früher“ schon genervt.
Dass der Abend nicht zünden will, dass wir – die Virtuosität bestaunend – unbeteiligt bleiben, hängt aber auch damit zusammen, dass Kušej dem Stück nicht ganz traut, weshalb er immer wieder Fragezeichen setzt: Gibt es das hochbegabte Mädchen der Gastgeber, das freudig seine Lieblingspuppe nach Afrika schickt, wirklich? Oder ist das eher so eine Edward-Albee-Erfindung? Sind Carol und Martin tatsächlich gerade aus Afrika gekommen? Warum läuft Carol (Sophie von Kessel) dann aber so etepetete gestylt und mit hohen Hacken herum? Und wieso wird hier dauernd fremdgekost? War da was? Und was war da?
Dabei sind diese Schnörkel durchaus amüsant, wie überhaupt die Beziehungsminiaturen zuweilen entzücken: Wenn Ulrich Matthes versucht, peinliche Situationen zu überspielen, einen Ausfallschritt wagt und seinen Kumpel in den Oberarm boxt. Wenn Norman Hacker verbohrt mit den Händen in den Hosentaschen herumsteht und abblockt. Wunderbar, wie Maren Eggert sich Bescheidenheit mimend über das gelungene Mahl freut.
Und Afrika? Am Ende hört man also Michael Jackson singen und die Puppen landen auf dem Plastikberg, aber wer braucht schon Puppen. Der Abend ist aus. Nix ist g'schehn.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.