Schweden: Privatschulen umgarnen Schüler

Schweden Privatschulen umgarnen Schueler
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Werbekampagnen: Zum Unterricht die Fitness-Card: Auf dem liberalen schwedischen Schulmarkt ist der Kampf um die Schüler hart. Das führt zum Wettbewerb der Ideen.

. . In diesen Wochen ist Staffan ein begehrter junger Mann. Nach neun Jahren Pflichtschule soll der 16-jährige Stockholmer ins Gymnasium wechseln, und seither kann er sich vor Angeboten kaum noch retten. In städtischen Bussen umgarnen Schulen die Schüler mit Versprechen über attraktives Milieu, spannenden Unterricht und tolle Feste. In den sozialen Internetmedien locken die Lehranstalten zu Tagen des „offenen Hauses“. Und wenn das Schulische nicht reicht, werfen sie auch eine Mitgliedskarte für den Fitnessclub oder ein paar gratis Fahrstunden in die Waagschale. Seit Schweden 1992 sein Schulsystem liberalisiert hat, schießen vor allem in den Großstädten immer mehr Privatschulen aus dem Boden, und der Kampf um die Schüler ist so hart geworden, dass sich auch kommunale Schulen gezwungen sehen, im PR-Wettstreit mitzumachen.

Denn die Regeln sind für alle gleich: Der Unterricht ist kostenlos, ob privat oder öffentlich. Dem Schüler folgt ein „Skolpeng“, ein virtueller Schulscheck, den die auserwählte Schule überwiesen bekommt, und die Schulwahl ist frei. Mehr Schüler heißt mehr Geld. Aber auch: Einfache Schüler bedeuten weniger Ausgaben. So stehen die Privaten in der Kritik, dass sie, um Gewinne zu machen, Problemschüler ausmustern und lieber öffentlichen Institutionen überlassen. Ihr Gegenargument lautet, dass der prozentuelle Anteil der Schüler mit „besonderen Bedürfnissen“ in den freien Schulen größer sei, und dass Spezialschulen für Kinder mit physischen und psychischen Behinderungen gerade unter den Privaten stark zunähmen.

„Friskolor“, die freien Schulen, gibt es vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung, und während es vor der Schulreform nur eine Handvoll internationaler, konfessioneller oder spezialpädagogischer Anstalten gab, sind die Privatschulen inzwischen eine starke Alternative. 1250 der 5700 schwedischen Schulen sind „Freischulen“, wobei der Anteil bei den Pflichtschulen 16 Prozent, bei den Gymnasien aber 48 Prozent beträgt.

70 Prozent sind als Aktiengesellschaften organisiert, andere als Stiftungen oder Vereine, und während 85 Prozent der Unternehmen nur jeweils eine Schule führen, haben sich auch richtige Schulkonzerne etabliert. Der größte ist „Academedia“, eine Tochter des Wallenberg-Imperiums, die 240 Schulen mit rund 5000 Mitarbeitern und 58.000 Schülern betreibt.

Unausgewogenes Angebot

Die Freischulen werben mit ihrem besonderen Profil, mit attraktiven Studienrichtungen, modernen Lokalen und gut ausgebildeten Lehrern. Doch das Angebot ist geografisch und sozial unausgewogen. In attraktiven Großstadtvororten gibt es eine Überetablierung, die manche Schule in den Ruin treibt – in einem Viertel der schwedischen Kommunen findet sich überhaupt keine private Alternative. Den Vorwurf, zur Segregation beizutragen, weisen die Freischulen zurück: „Das ist nicht unsere Schuld, sondern die des Wohnungsmarkts“, sagt „Pysslingen“-Direktor Johan Göterfelt. Konzerne bauen eben lieber dort, wo die Eltern Geld haben als in den Vorstadtghettos. Doch die freie Schulwahl ermöglicht auch Ghettokindern – theoretisch zumindest – die Aufnahme in eine attraktive Freischule.

Dass es unter den Schulanbietern auch „Glücksritter“ gibt, denen es mehr um Profit als um Qualität geht, räumt auch Göterfelt ein. Obwohl private Schulen pro Schüler etwa so viel Geld bekommen, wie die kommunalen benötigen, operieren die Schul-AGs mit Renditen von vier bis sechs Prozent. Sie erklären dies mit rationellerem Umgang mit den Bewilligungen. Es gibt Unternehmen, die 15 Prozent Gewinn einstreifen.

Für die oppositionellen Sozialdemokraten ist das „Diebstahl“ öffentlicher Gelder. Und selbst der liberale Schulminister Jan Björklund, ein Verfechter des „offenen Markts für Bildungsstätten“, erkennt, dass nicht alles zum besten steht. Gesetzeslücken lassen zu, dass Privatschulen Schlüsselfunktionen wie Bibliothek, Schulkrankenschwester oder Studienberatung streichen und das Geld dafür als Gewinn abbuchen. „Wir waren zu naiv gegenüber den Schulkonzernen“, sagt Björklund und erwägt, schlechte Schulen zu zwingen, Überschüsse für besseren Unterricht einzusetzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2011)

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