Graz: Schwarzer Stillstand, grüner Ärger

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Nach außen ist die Rathauskoalition um Einigkeit bemüht. Intern gibt es Ärger. Volksbefragungen zu Themen der Stadtentwicklung präsentierte Nagl im Herbst 2010 als Mittel gegen den politischen Stillstand.

Graz. Genussbus, Wohlfühlhaus, Welcome-Haus, Markthalle: alles Projekte, die der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) im Vorfeld (und auch noch nach) der Gemeinderatswahl 2008 vollmundig ankündigte. Realisiert wurde davon bis heute nichts:

Der Genussbus als mobiler Lebensmittelnahversorger wurde abgeblasen, die naschmarktähnliche „Markt der Nationen“-Halle auf dem Griesplatz bleibt ein Luftschloss, das „Welcome-Haus“ als zentrale Servicestelle für Integrationsfragen steckt in der Umsetzung fest. Und das Wohlfühlhaus samt Wohlfühlbus ist in einem mit der Stadt Maribor (Slowenien) eingereichten EU-„Wohlfühl“-Projekt aufgegangen. Nach dem Startschuss vor einem Jahr verzögern sich erste Projekte (Wohlfühl-Kompass, Bus) aber auch hier. Im stolz installierten Beirat für Bürgerbeteiligung dominiert der Frust – für einen umsetzungsorientierten und erfolgsverwöhnten Politiker wie Nagl eine mehr als ernüchternde Bilanz.

Viele Ideen, keine Umsetzung

Der Bürgermeister tröstet sich indes mit immer neuen Vorschlägen und Visionen. Ein interdisziplinäres „Institut für Zeit“ sowie eine Solar- und Fotovoltaikoffensive, bei der ein Drittel der Grazer Dachflächen mit entsprechenden alternativen Energieerzeugungskomponenten ausgestattet werden soll, kündigte er Ende 2008 an. Die Entwicklung eines „Öko-Stadtteils des 21. Jahrhunderts“ auf den Reininghaus-Gründen im Grazer Westen stellte Nagl im Frühjahr 2010 in Aussicht, den bevorstehenden Verkauf an einen privaten Investor ein Jahr später. Der Verkauf scheint geplatzt, die Opposition fordert einen Sondergemeinderat.

Volksbefragungen zu neuralgischen Themen der Stadtentwicklung (Murkraftwerk etc.) präsentierte Nagl im Herbst 2010 als Mittel gegen den politischen Stillstand und für eine stärkere Einbindung der Bevölkerung – es folgte ein Rückzug in Etappen. Eine Nahverkehrsabgabe samt Refundierung der Kosten für Käufer einer Jahreskarte des öffentlichen Verkehrs brachte er im Mai ins Spiel und zuletzt machte er sich mittels lokalem Boulevardblatt auf die Suche nach den „zehn lästigsten Ampeln“ der Stadt, die er entschärfen will. Nagls populistisch konnotierter Tatendrang ohne Realisierungsgarantie ist 16 Monate vor der nächsten Gemeinderatswahl ungebrochen. Er wird für einen deutlichen Wahlsieg reichen. Vor allem, weil kein Gegner in Sicht ist: Die SPÖ profiliert sich auch unter Edmund Müller – vierter Parteichef in fünf Jahren – im stabilen Selbstauflösungsprozess. Die in Graz seit zehn Jahren zu einer Fixgröße zählende KPÖ betreibt biedere Stammklientelpolitik ohne Wachstumspotenzial. Das Wachkoma der FPÖ dürfte erst mit Wahlkampfbeginn schlagartig in eine polarisierende Parolenhysterie umschlagen.

„Unprofessionelle Grüne“

Und die Grünen? Seit sie sich vor dreieinhalb Jahren erstmals in einer österreichischen Landeshauptstadt in eine Koalition gewagt haben, schwanken sie im Zusammenspiel mit der ÖVP zwischen neuer Regierungsverantwortung und alter Oppositionsskepsis. Regelmäßig gibt es Meinungsverschiedenheiten. Mit Vorstößen für höhere Parkgebühren, einer Radwegoffensive samt Autoverkehrsschikanen und einer Ablehnung des von der ÖVP forcierten Murkraftwerks im Stadtteil Puntigam hat sich Grünen-Vizebürgermeisterin Lisa Rücker den Ärger schwarzer Kernschichten zugezogen.

Aber auch innerhalb der Grünen wird Kritik laut. Die Neustrukturierung der stadteigenen Gesellschaften durch Schwarz-Grün sei „katastrophal verlaufen“, die Verkehrspolitik Rückers „hätte ein VP-Politiker zwar nicht mit grüner Farbe geschrieben, aber auch zusammengebracht“, der Umgang mit internen Kritikern sei „unprofessionell gewesen“, so Tobias Schweiger, Sprecher der Grünalternativen Jugend, gegenüber der „Presse“. Aber er attestiert seiner Parteiführung Lernfähigkeit: „Man hat erkannt, dass man professioneller arbeiten, die Partei breiter aufstellen und öffnen muss.“

Ein Jahr bis zum Wahlkampf

Bevor in einem Jahr die Hochphase des Wahlkampfs beginnt, malen die schwarz-grünen Spitzen ein trautes Bild ehrgeiziger Umsetzer. Bei einem Koalitionsgipfel Ende vergangener Woche wurden offene Punkte gelistet: Pläne für einen Ausbau des Straßenbahnnetzes und eine multifunktionelle Ballsporthalle, die Sanierung der Eishalle, eine Lösung für die Reininghaus-Gründe. Das Praktische: Die Politiker brauchen nur in ihre Schubladen zu greifen. Dort schlummern die Konzepte seit dem letzten Wahlkampf. Mindestens.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2011)

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