Polanskis „Carnage“: Großer schwarzer Humor

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Der Wettbewerb in Venedig hat einen ersten Favoriten. Dafür sorgen der Regisseur und sein Starquartett. Mit Carnage bringt Roman Polanski, Yasmina Rezas Erfolgsstück „Der Gott des Gemetzels“ auf die Leinwand.

Schallendes Gelächter zwischendurch und heftiger Applaus am Ende der Pressevorführung am Donnerstagvormittag: Der Wettbewerb der Filmfestspiele Venedig hat seinen ersten Hit. Mit Carnage bringt Roman Polanski Yasmina Rezas Erfolgsstück „Der Gott des Gemetzels“ in verdichteten, vergnüglichen 79Minuten auf die Leinwand, unterstützt von einem blendenden Ensemble – Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz und John C. Reilly. Die Ausgangsbasis der schwarzen Komödie ist simpel: Zwei Ehepaare treffen sich zur Friedensstiftung, ihre Kinder sind im Park in Streit geraten. Bemüht taktvolle Konversation wird in kürzester Zeit zur psychologischen Kampfhandlung, der bürgerliche Anstand wird schrittweise massakriert.

Rezas Stück ist ideal für Polanski: Abgründige und schwarzhumorige Kammerspiele sind eine seiner Spezialitäten. Sein Ruhm kam mit seiner „Apartment“-Trilogie: In Ekel (1965) versank Catherine Deneuve in ihrer Londoner Wohnung im Wahnsinn, in Rosemaries Baby (1968) geriet Mia Farrow buchstäblich in Teufels Küche. Im Nachzügler Der Mieter (1975) übernahm Polanski selbst die Titelrolle: ein surrealer Spießrutenlauf nahe an der Horrorkomödie – und damit seinem neuen Film gar nicht so fern.

Dass im Filmtitel dem Gemetzel quasi der Gott abhandengekommen ist, war angeblich ein Wunsch der Produzenten – Carnage allein klinge kassenträchtiger –, passt aber zur gottlosen Groteske, als die Polanski die Selbstzerfleischung seines Quartetts inszeniert. Gemeinsam mit Reza hat er die Vorlage adaptiert, den Rahmen bilden Kinderspielszenen im Park. Der Rest spielt in einem schicken Apartment in Brooklyn, gedreht wurde aber in Paris: Polanski kann wegen einer Vergewaltigungsanklage seit 1977 die USA nicht betreten, die Affäre um seine Verhaftung und einen Auslieferungsantrag führte zu Kontroversen – und teils blauäugigen Unterstützungserklärungen von liberalen Kollegen, die nicht immer zu Polanskis Vorteil waren. In Carnage rechnet er auch mit solchen Humanitätsaposteln ab.

Diese Rolle ist mit Jodie Foster gewitzt besetzt: Als Gastgeberin mit Faible für Kultur und Afrika verliert sie spätestens dann die Beherrschung, als sich Besucherin Kate Winslet auf ihren raren Kokoschka-Bildband übergibt. Noch saftiger sind die Parts der Ehemänner: John C. Reilly gibt sich als Gastgeber erst jovial, aber als der Alkohol fließt, setzt er zum befreienden Rundumschlag an, auch wenn er in einem hochkomischen Detail die unerlaubte Zigarre, die er rebellisch in den Mund gesteckt hat, nie anzündet.

Triumph der Bosheit: Christoph Waltz

Dienen diese (Selbst-)Täuschungsmanöver der boshaften Entlarvung, so triumphiert ausgerechnet die boshafteste Figur: Christoph Waltz als skrupelloser Berater einer Pharmafirma, dessen Dauertelefoniererei die anderen sukzessive ausrasten lässt, bekennt sich zum atavistischen „Gott des Gemetzels“ unter der Wohlstandsfassade. Er spielt extrem erheiternd, wie eine aufgezogene Handpuppe mit Freude am hämischen Grinsen – Ausdruck einer auf Lügen fußenden Lebensform. Ob Waltz oder Carnage unter den Siegern der Festspiele sein werden, ist am zweiten Tag noch nicht zu sagen: Aber die Chancen scheinen gut zu stehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2011)

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