Wendelin Von Boch: Zerbrechliches Königreich

(c) Julia Stix
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Keramik und Tischkultur gehören zusammen wie Villeroy & Boch. Wie man Schatzhüter und Innovator zugleich ist, erzählt Wendelin Von Boch im Interview.

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Lange Jahre hatte er den Konzern geführt, in achter Generation seit der Gründerfamilie. Im Jahr 2007 hat sich Wendelin von Boch schließlich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Vorsitzender des Aufsichtsrates bleibt er, in einem Unternehmen, das seit 1748 durch eine bewegte Geschichte von Krisen und Familienfehden mäandert wie die Saar durchs Saarland. Dort logiert der Villeroy-&-Boch-Konzern noch immer feudal in einer barocken Abtei. Im Interview mit dem „Schaufenster“ erzählt Von Boch, welche Zukunft die Tradition hat. Und welchen Stellenwert Tischkultur für ihn persönlich.

Herr von Boch, wie manövriert man eigentlich ein so traditionsreiches Unternehmen in die Gegenwart? Was nimmt man mit, wovon trennt man sich?
Noch bis vor zehn Jahren war Villeroy & Boch sehr retrospektiv orientiert. Wir waren ja stilprägend für ganze Epochen, waren Protagonisten des Barock, haben den Jugendstil beeinflusst in der Welt der Keramik. Doch wir haben eines bemerkt: Mit „Restyling“ allein können wir nicht überleben. Aber wir wussten auch, einfach ein modernes Service zwischen die klassischen Linien zu setzen – das wäre nicht authentisch, nicht glaubwürdig. So haben wir segmentiert, in drei „Lifestyles“. Und einer davon – „Metropolitan“ – steht dann eben für modernes, puristisches Design. 

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Hat es Ihnen nicht wehgetan, bestimmte Dinge aufzugeben? 

Ich habe ja den Wandel damals selbst eingeleitet. Natürlich hat es wehgetan. Ich hab zwar die Dinge nie selbst gestaltet, aber das Briefing dafür ausgegeben. Und es hat geschmerzt zu erkennen, dass bestimmte Linien keine Nachfrage mehr gefunden haben. Es war nicht einfach einzusehen, dass jedes Produkt einen Lebenszyklus hat. Und die gefährlichsten Momente sind immer die, wenn sich die Trendkurven verändern. Wenn man nicht aufpasst, hat man plötzlich nichts parat, um adäquat zu reagieren. Irgendwann hat man sich satt gesehen an Blümchen und traditionellem Dekor. Dann versucht man wieder eine puristische, weiß-graue Linie zu fahren. Und danach kommt wieder die Sehnsucht nach Farbe und Dekor. Wenn man das drei, vier Jahre vor der Trendkurve weiß, kann man rechtzeitig das passende Briefing für die Produktentwicklung auf den Weg schicken und die richtigen Maßnahmen einleiten.


Außer durch die zyklischen Pendelbewegung zwischen pur und ornamental, wie reagieren Sie – vor allem beim Geschirr – auf Veränderungen in der Tischkultur?   
Ja, Anpassungsfähigkeit muss man schon beweisen. Wir reagieren natürlich auch auf Entwicklungen, wie dieses „Walking Dinner“ etwa, bei dem man sich nicht an einen gedecktenTisch setzt, sondern mobil bleibt, aus kleinen Schälchen mal dies und jenes knabbert. Man ist ja heute auch viel kreativer in der Mischung von asiastischer und europäischer Esskultur, das hat sehr viel Charme, meiner Meinung nach. Unsere Angebote haben sich da angepasst, vor allem auch in Richtung asiatischer Kultur.


Die Rituale, das Zeremonielle, das Formelle rund um die traditionelle Tischkultur mutet ja für Jüngere bisweilen seltsam anachronistisch an.   
Natürlich ist ein Wertewandel erkennbar, auch bei meinen Kindern. In meiner Jugendzeit hatte man noch ein 24-teiliges Service und Silberleuchtern auf dem Tisch. Die Großfamilie kam nicht nur zu Weihnachten und Ostern zusammen. Heute wird en passant beim Fernsehen gegessen. Das ist einfach ein gesellschaftlicher Prozess. Aber ich bin überzeugt, das Pendel wird wieder zurückausschlagen. Wenn Sie beobachten, mit welcher Akribie und Hingabe wieder gekocht wird. Oder wie viel Geld für alles, was mit Kochen und Küche zu tun hat, ausgegeben wird. Auch dieser Hype um die Fernsehköche! Das lässt uns hoffen, dass auch die Tischkultur bald wieder einen höheren Stellenwert haben wird. 


Haptisch und ästhetisch ist Porzellan wahrscheinlich ohnehin nie ganz wegzudenken vom Tisch.

Früher hat man Porzellan noch als weißes Gold bezeichnet. Hatte der kleine Junge einen Teller auf den Boden geschmissen, bekam er eine Ohrfeige, weil das etwas Wertvolles war, was da zu Bruch ging. Da war Porzellan auch irgendwie unnahbar und etwas Besonderes. Aber das wollen wir ja so auch nicht. Wir wollen ja, dass man in den Geschirrladen geht und es anfasst. Und nicht, dass Porzellan etwas ist, was das ganze Jahr im Museum steht und nur zu Weihnachten rausgenommen wird.

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Und wie halten Sie’s persönlich mit der Tischkultur? 
Meine Frau legt sehr großen Wert darauf. Alles ist immer ganz penibel aufeinander abgestimmt. Meine Kinder fangen damit aber gar nichts an, also ist die Liebesmüh’ meiner Frau leider oft für die Katz’. Aber sie macht es trotzdem gern, verwendet immer wechselndes Geschirr, immer dem Anlass entsprechend. Wenn alle so wären wie meine Frau, wären das für unsere Branche goldene Zeiten! Wir haben ein großes Haus und sprechen oft Einladungen aus. Zuletzt war das Saarländische Staatsballet zu Gast, das waren 25 Leute aus 20 Nationen. Bei solchen Anlässen merkt man dann auch, dass die Stimmung nicht nur durch das Essen geprägt wird. Sondern auch dadurch, dass man sich liebevoll bemüht hat.


Finden Sie es nicht schade, dass durch die veränderte Tischkultur auch die dazugehörigen Rituale und die Familienkommunikation leiden? 
Es gibt eben beide Welten. Mir ist es wichtig, mit meiner Frau zu frühstücken etwa, und dann und wann Abendessen mit meinen Kindern zu organisieren, das ist zugegebenermaßen nicht immer ganz einfach. Man muss auch die andere Welt respektieren. Und zusehen, dass man ihr mit seinem Produktangebot gerecht wird. Mit dem Ikea-Teller um zwei Euro können und wollen wir nicht mithalten. Aber nach der Studentenbude wird irgendwann auch den Leuten wichtiger, mit welchem Geschirr sie aufwarten, wenn sie Gäste einladen.


Wer gestaltet die Designs? Und wann kommt die neue Trendkurve? 
Zu meiner Zeit haben wir zu 90 Prozent mit eigenen, internen Designern gearbeitet, die haben einfach unsere Unternehmenskultur am besten verstanden. Wir haben lange gut davon gelebt, alte Formen neu zu interpretieren. Der Konsument war lange Zeit retrospektiv, vor allem beim Geschirr. Und jetzt, wenn meine These zutrifft, müsste es sich wieder zum Retrospektiven wenden. Aber ich muss zugeben, ganz genau kann ich das noch nicht erkennen. Der Trend kommt, aber es dauert ein paar Jahre, bis er stark wird.  e

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